
Meldung aus dem Borker Exil
Es fing an mit der Wand. Oder mit dem Regen, im Frühjahr schon. Die Wand jedenfalls wurde nass, oben an der Decke und unten an den Fußleisten. Wasser kam durch das Dach, irgendwie. Wo ein Abfluss hätte sein sollen, da war keiner
oder der, der da war, war verstopft. Und das Wasser musste irgendwohin. So kam es in die Wand. Im Frühjahr. Es sucht sich seinen Weg.
Unangenehm wurde es aber erst, mit dem Schimmel. Feuchte Wand, Schimmel, irgendwann kommt’s. Und nun bin ich im Exil in Bork. In Bork. Nichts gegen Bork, nein, aber dass es mich für mein Exil nun ausgerechnet nach Bork verschlagen hat! Na ja. So ergibt sich die Gelegenheit. das Dorf, das so ungern Teil von Selm ist, näher zu erkunden.
Meine Wohnung und mein Büro in der Selmer Altstadt jedenfalls, die habe ich im Juli geräumt. Wegen Schimmel. Und passieren tut seither genau nichts. Es mangelt wohl an fachkundigen Handwerkern, die ein Dach dicht bekommen.
Alles, was keine Feuchtigkeit verträgt ist inzwischen in Kartons verpackt. Das habe ich während meines ersten Exils in Bork gemacht. Und nun, da der Herbst sich nähert und ich vermute, dass Feuchtigkeit plus Schimmel plus Kälte auch dem Karton nicht gut tut, müssen auch die Kartons raus. Das in der zweiten und dritten Exil-Woche. Lieber wäre es mir, der Schimmel käme endlich raus. Doch wann das passiert, weiß niemand. Vielleicht weiß es der Dachdecker, der mit dem übervollen Terminkalender. Nun jedenfalls habe ich einen Lagerplatz in einem dieser modernen Self-Storage-Anlagen mit App und sich wundersam öffnenden Toren und Türen gemietet. Hübsch. Und vor allem trocken.
Bork jedenfall ist ein schönes Dorf an der Lippe. Es hatte mal ein eigenes Amt, zu dem Selm und sogar Teile von Lünen gehörten. Damals in der preußischen Provinz Westfalen und noch bis zur Kreisgebietsreform 1975. So viel habe ich schon herausgefunden über Bork. Das lernt man an einem Abend, an dem der Gastwirt in der Borker Lieblingsgaststätte einen mit einer angestammten Runde bekannt macht. Eine sehr gesellige Gastwirtschaft, die ich während meines ersten Borker Exils mehrfach besuchte. Aber nicht nur diese Gastlichkeit erfüllte meine Zeit im Exil. Ich ging spazieren durch die Felder hinter der Bahn, bis zur Lippe. Sogar Joggen in großer Runde: die ganze alte Zechenbahn bis nach Selm und mit Blick auf Netteberge ging es zurück nach Bork.
Für mein Frühstück lernte ich die Bäckerei an der Kreuzung in der Ortsmitte kennen und schätzen. Ich vermisste den REWE, mit dem LIDL werde ich irgendwie nicht warm. Und das lag nicht an fremdländisch aussehenden Menschen, die wohl hin und wieder dort auf dem Parkplatz sitzen. Auch die nahm ich wahr, jedoch weniger, als ich es auf Grund der aufgeregten Debatte um die Zeltstadt erwartet hatte.
Und das, obwohl ich direkt am Weg vom Bahnhof in die Ortsmitte wohne. In der Bahnhofstraße. Eigentlich ganz schön. Über eine Vermietungsplattform, deren Name wie luftige niederländische Kaffeesahne klingt, fand ich eine günstige Bleibe in einem alten Hotel: Bollerott. Am Kreisverkehr an der Bahnbrücke.
Der Gastraum hat den Charme der 1970er-Jahre, die alte Theke und die Sitzgruppen stehen dort noch, als käme jeden Moment der Männergesangsverein Union oder die Schützengilde St. Stephanus rein. Draußen wirbt ein Schild für Iserlohner Pilsener und eine Spur von Kneipendurft hängt noch immer in den Räumen, selbst im Gästezimmer. Eine Küche steht für die Nutzung aller Gäste zur Verfügung. So treffen sich abends jugendliche Polizeischüler, bisher alle männlich, daher nicht gegendert, und polnische Handwerker, ebenfalls männlich, und kochen aneinander vorbei. Dazwischen ich. In meinem Exil. Hm. Auf dem polnischen Lieferwagen stand als Firmenbezeichnung “Dachowcy” und es waren Dachziegel abgebildet. Weshalb habe ich nicht gefragt, ob die nicht noch eine Lücke in ihrem Terminkalender haben. Die dritte Flasche Wodka hätte ich glatt gespendet und den großen Topf mit Kartoffeln geschält.
Oliver Hübner - Autor, Blogger und Webgestalter aus Selm und Schwerin, geb. 1968 in Unna
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