Selmer Alltagsspuren: Fahrradklima – Top im Kreis, doch Gesamtnote nur “ausreichend plus”

Selmer Alltagsspuren: Fahrradklima – Top im Kreis, doch Gesamtnote nur “ausreichend plus”

(Relativ) gutes Klima …

Das ist doch eine gute Nachricht: Selm fährt gerne Rad. Zumindest im Vergleich. Denn Selm schneidet von allen Städten im Kreis Unna am besten ab. Der ADFC hat im Herbst 2020 wieder aufgerufen, das Klima für den Fahrradverkehr in der eigenen Kommune zu beurteilen. In dieser Woche wurden die Ergebnisse für 1.010 deutschen Städte und Gemeinden veröffentlicht.

Die Note, die 118 befragte Selmerinnen und Selmer ihrer Stadt dabei gaben, ist allerdings nicht einmal befriedigend: 3,56 im Durchschnitt über 32 Fragen nach dem Wohlfühlfaktor auf dem Rad und der Zufriedenheit mit Sicherheit und Radverkehrsinfrastruktur.

Rangliste Kreis Unna, Fahrradklima-Test 2020/21:

  1. Selm              – Note: 3,56 – Platz 68/415 in Kategorie 20.000 – 50.000 Ew. – 118 Teilnehmende
  2. Kamen           – Note: 3,67 – Platz 98/415 in Kategorie 20.000 – 50.000 Ew. – 63 Teilnehmende
  3. Bergkamen   – Note: 3,72 – Platz 127/415 in Kategorie 20.000 – 50.000 Ew. – 98 Teilnehmende
  4. Werne            – Note: 3,83 – Platz 166/415 in Kategorie 20.000 – 50.000 Ew. – 139 Teilnehmende
  5. Holzwickede – Note: 3,92 – Platz 234/418 in Kategorie  < 20.000 Ew. – 117 Teilnehmende
  6. Unna               – Note: 3,93 – Platz 42/110 in Kategorie 50.000 – 100.000 Ew. – 111 Teilnehmende
  7. Fröndenberg – Note: 4,00 – Platz 248/415 in Kategorie 20.000 – 50.000 Ew. – 64 Teilnehmende
  8. Lünen             – Note: 4,03 – Platz 56/110  in Kategorie 50.000 – 100.000 Ew. – 155 Teilnehmende
  9. Schwerte       – Note: 4,27 – Platz 348/415 in Kategorie 20.000 – 50.000 Ew. – 176 Teilnehmende
  10. Bönen            – Note: 4,27 – Platz 365/418 in Kategorie < 20.000 Ew. – 52 Teilnehmende

Fahrradfreude? Ja, aber …

Ja, es stimmt, Fahrradfahren in Selm macht Spaß. Es gibt schöne Wege. Beispielsweise an der Funne entlang, durch den Auenpark, auch durch die Siedlungen an der Seilandstraße fährt es sich schön. Auch am Selmer Bach entlang bis hoch zur Luisenstraße und weiter über den frisch geteerten Weg nach Bork. Zurück nach Selm fahre ich gern durch die Schorfheide. Selbst durch die hügelige Landschaft hinter Bork, auf der Straße Zum Wegebild nach Cappenberg macht es Freude, mit dem Rad zu fahren.

Doch gibt es auch Straßen, die ich meide, die enge Ludgeristraße ist so eine. Hier weiß ich, dass Autofahrerinnen und Autofahrer nicht immer Rücksicht nehmen und mich beim Überholen häufig bedrängen. Auch, dass sie nah auffahren, wenn noch kein Platz zum Überholen ist.

Was macht es also aus, das schöne Radeln in Selm?

Am besten bewertet wurden die Kategorien “Erreichbarkeit Stadtzentrum” mit der Note 2,3, “Zügiges Radfahren” mit 2,5 und “Radfahren durch Alt und Jung” mit der Note 2,6. Am schlechtesten schnitt Selm ab bei den Fragen “Öffentliche Fahrräder”, Note 5,2 und “Fahrradmitnahme im Öffentlichen Verkehr”, Note 4,5.

Dem kann ich nur zustimmen, die Selmer Mitte ist gut zu erreichen. Sie ist nicht wie beispielsweise das Zentrum in meinem vorherigen Wohnort Unna durch einen Innenstadtring abgeschottet, der meist mit langem Warten an den Kreuzungen überquert werden muss.

Besonders positiv aufgefallen sind mir die beiden Fahrradstraßen in Selm, der Sandforter Weg zum Bahnhof Selm-Beifang und in Bork ein Teil der Waltroper Straße. Obwohl beide nicht auf meinen Wegen liegen, ist es eine positive Maßnahme für den Radverkehr.

Fahrrad Auenpark Selm
Fahrvergnügen im Auenpark

Aber weshalb nur ein “ausreichend plus”?

So schön das Fahrradfahren in Selm auch ist, ich habe in meinem ersten Jahr in Selm schon mehrfach negative Situationen als Fahrradfahrer erlebt. Drei Beispiele:

Ich fahre auf der Ludgeristraße vom Kreisverkehr an der Olfener Straße in Richtung Altstadt. Die Fahrbahn ist eng, es kommt viel Gegenverkehr. Bis zur Druckerei fahren Autos hinter mir und können nicht überholen. Auf dem Parkstreifen stehen mehrere Autos, in denen ich Insassen sehe. Also fahre ich ein Stück weiter links, um eventuell aufgehenden Türen ausweichen zu können. Hinter den parkenden Autos plane ich, auf den Parksteifen zu fahren, um die Autos überholen zu lassen. Die erste Lücke im Gegenverkehr wird jedoch genutzt, ein PKW überholt mich, der Motor heult auf, er hupt und überholt mich mit sehr knappen Abstand.

Ich erschrecke mich und habe Mühe meine Fahrt geradeaus ohne Schlenker fortzusetzen. Ich sehe den Fahrer auf dem Parkplatz des K&K und sage ihm, so ruhig ich es nach dem Schrecken vermag, dass er mich laut Straßenverkehrsordnung mit mindestens 1,5 Meter Abstand überholen muss. Unverständnis seinerseits, ich wäre ja die ganze Zeit zu weit links gefahren. Also hatte er vermutlich vor, mich zu überholen, als noch Gegenverkehr kam? In der engen Ludgeristraße eigentlich unvorstellbar. Auch erklärte ich ihm, dass ich Abstands zu den parkenden Fahrzeugen halten müsse. Weiterhin Unverständnis für meine Situation.

Anderes Beispiel:

Kreisverkehr Ludgeristraße/Kreisstraße. Ich überquere regulär mit dem Fahrrad die Fahrbahn der Kreisstraße auf dem Radweg. Das Vorfahrtachten-Schild ist für den Autoverkehr eindeutig vor dem Radweg und dem Zebrastreifen. Dennoch schnauzt ein Autofahrer mich an, dass er ja wohl Vorfahrt habe, da ich ja kein Fußgänger auf dem Zebrastreifen sei. Seiner Meinung nach gilt das Schild “Vorfahrt gewähren” offenbar nicht bei kreuzendem Radverkehr.

Drittes Beispiel:

Ich liebe die Strecke an der Funne zwischen Freibad und Stever. Gerne fahre ich auch den Buxfort hinaus und besuche meine Familie in Südkirchen mit dem Fahrrad.

Bei ersten Test der Strecke fahre ich also an der Funne entlang bis zum Freibad und biege hinter dem Freibad links ab in die Badestraße. Ich kann über den Acker sehen, dort geht meine Strecke am Hof auf dem Hügel weiter hinaus zum Buxfort. Doch es fehlen 100 Meter Verbindungsstück. So muss ich etwa 600 Meter zunächst bergauf fahren, dann die Südkirchener Straße auf einem engen Radweg zwischen Gehweg und parkenden Autos und später wieder hinauf zum Hof fahren, den ich vom Freibad fast schon greifen konnte. Eine ärgerliche Lücke im Weg entlang an der Funne.
Später ist mir das als an mehreren Stellen aufgefallen: Es führen viele schöne Wege von verschiedenen Seiten zu den Bauernhöfe. Auf dem Plan kombiniere ich sie gedanklich zu Fahrradtouren. Doch kann in der Praxis die wenigsten wirklich benutzen, da ich den Hof nicht überqueren darf.

Fahrradfreundlich planen

Eine Verkehrsplanung, die zum Ziel hat, den Fahrradverkehr in einer Kommune deutlich zu erhöhen, müsste meiner Meinung dafür Sorgen, dass durch klare und sichtbare Maßnahmen der Fahrradverkehr einen Platz bekommt. Das könnte Fahrradschutzstreifen sein oder eine farbige Markierung auf der Münsterlandstraße, in Höhe der Verbindung Auenpark – Seilandstraße. Das könnte eine Verbindung von Wegstrecken für das Freizeitradeln beispielsweise an der Funne entlang sein. Das könnte auch eine Tempo- 30-Regelung in der Ludgeristraße zwischen Auf der Geist und Olfener Straße sein. Hier sehe ich für die Entwicklung in Selm viel Platz nach oben.

Fazit

Außer zwei Fahrradstraßen und vielen Fahrradständern rund um die Kreisstraße ist für mich noch nicht sichtbar, dass Selm eine fahrradfreundliche Stadt sein möchte. Es stimmt, dass Fahrradfahren in Selm größtenteils Freude bereitet, doch gibt es noch zu viele Schwachstellen, die eine bessere Note als “ausreichend plus” rechtfertigen würde.

Oliver Hübner - Autor, Blogger und Webgestalter aus Selm und Schwerin, geb. 1968 in Unna

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