Selmer Alltagsspuren – Farben bekennen: Das Leben ist keine Facebook-Bubble
Ein bunter Gruß oder eine politische Botschaft?

Selmer Alltagsspuren – Farben bekennen: Das Leben ist keine Facebook-Bubble

Die zurückliegende Woche auf Facebook: Nach und nach rahmten sich die Profilbilder vieler meiner Freundinnen und Freunden dort in bunte Regenbogenfarben. In manchen wurde ein Regenbogen eingeblendet,  in den Beiträgen häuften sich die bunten Farben. Und das ist auch gut so! Denn es ist ein Zeichen der Solidarität mit der LSBTQI*-Community, die sich auch im 21. Jahrhundert noch vielen Anfeindungen ausgesetzt sieht.

Auslöser war ein Gesetz in Ungarn, das vorsieht, die Aufklärung Jugendlicher über Homosexualität und trans Identitäten zu verbieten. Mit der Folge, dass auch in Filmen, Büchern und Werbung, die Jugendlichen zugänglich sind, keine homosexuellen Paare oder homosexuelles Verhalten gezeigt werden darf. Zwei sich küssende Frauen oder händchenhaltende Männer werden somit gleichgesetzt, mit der Verherrlichung von Gewalt: FSK 18, oder wie das in Ungarn heißen mag.

Einen besonderen Schwung bekam die Solidarität auf den Sozialen Medien mit der LSBTQI*-Bewegung (lesbisch, schwul, bi, trans, queer, intersexuell), durch das Verbot der UEFA, die Münchner Fußball-Arena zum Länderspiel Deutschland gegen Ungarn in den Regenbogenfarben erleuchten zu lassen. 

Das wäre ein großes Zeichen gewesen und stände einer UEFA, die sich öffentlich gegen Diskriminierung einsetzt, gut zu Gesicht. Umso schöner empfand ich dann das stetige Bunterwerden meiner Facebook-Timeline.

Online Solidarität, Spuren der Intoleranz vor Ort

Was hat das nun mit Selmer Alltagsspuren zu tun? Leider mit einem sehr konkreten Fall, drei unscheinbare Zettel mit deutlichen Botschaft …

Alles began mit einer Aktion der Selmer Werbegemeinschaft in der Altstadt. Dort bin ich mit meiner Internetagentur Blogwerk Mitglied.

Die Händlerinnen und Händler hatte eine wurderbare Idee: als Einladung nach langen Einschränkungen im Corona-Winter wurden bunte Plakate in die Schaufenster gehängt und die Bäume der Ludgeristraße wurden mit bunten Bändern geschmückt. Die Bänder hängen noch, sehen toll aus, finde ich! Obwohl ich mit meinem Büro etwas abseits gelegen bin, wurde ich für die Aktion mit berücksichtigt. Es wehten die bunte Bänder eine ganze Weile auch vor meinem Büro, ein Plakat klebte in meinem Fenster. So weit so gut.

nein
... vom Winde hergeweht oder subtile Botschaft?

Etwa eine Woche später lagen drei unauffällige Zettel vor meiner Eingangstür. “Nein zu LGBTQ!”

Huch, was soll das? Drei Zettel, alle vor meiner Tür. Gilt das mir?

Für Botschaften dieser Art hatte ich, soweit ich weiß, keinen Anlass gegeben. Ach, vielleicht hat der Wind sie dorthin geweht, so wie die vielen Schokoriegel- und Zigarrettenschachtelumverpackungen. Eine zugige Ecke halt, in der der Wind sich fängt.

Eine Woche später folgendes Bild: Die bunten Bänder lagen abmontiert auf dem Boden. Okay, auch das könnte der Wind gewesen sein. Aber überall in der Straße hingen die Bänder ja noch. Offenbar hatten der farbige Schmuck und die Zettel einen Zusammenhang.

Was sollte ich tun? Zumal hier ja zwei Missverständnisse vorlagen. Der bunte Schmuck galt nicht als Zeichen der LGBTG/LSBTQ*-Bewegung und ich bin glücklich verheiratet, mit einer Frau.

 

Schmuck auf Boden
Da lag er nun ...

Da habe ich doch nichts mit zu tun, ... oder doch?

Spontan wollte ich einen Zettel an die Stelle hängen, etwa mit der Aufschrift: “Hallo, schade, dass Sie den Schmuck entfernt haben. Es war nur ein Schmuck, völlig unpolitisch. Weder der Schmuck noch ich haben etwas mit LGBTQ zu tun.”

Hm, aber stimmt das? Nein, ich habe sehr wohl etwas mit LGBTQ zu tun. Denn ich möchte, dass alle Menschen  jeglichen Geschlechts, jeglicher sexuellen Identitäten und Vorlieben glücklich werden und ein anerkanntes Leben führen können. Ich möchte nicht, dass es Menschen verboten wird, so zu lieben, wie es ihrer Natur entspricht oder dass sie ihre Persönlichkeit verleugnen müssen. Was hätte ich auch davon? Es hat ja keinen Einfluss auf mein Leben, wen Nachbarin und Nachbar lieben.

Graffiti auf Briefkasten
Ist das Kunst, oder ...?

Die Flecken gehen weg, das Unbehagen bleibt

Und was nun? Offenbar kommt die Botschaft aus meiner Nachbarschaft, denn der bunte Schmuck an den anderen Geschäften und Bäumen in der Straße hängt noch. Es muss jemand in meiner Nähe wohnen, den bunte Bänder veranlassen, anonyme Botschaften an seine Nachbarn zu streuen und damit seine Intoleranz kund zu tun. Immerhin kennt diese Person den politisch korrekten Begriff LSBTQ und schreibt nicht einfach “Schwule raus!”.

Und vielleicht kann diese Person auch schwungvoll den grünen Permanentschreiber führen, denn einige Tage später wurde mein Briefkasten beschmiert. Ein eigentlich recht kunstvoller, geschwungener Schriftzug, grüner Edding auf weiß. Sieht nach geübtem Graffiti aus. Könnte RFP heißen. Ein Zufall oder die nächste Botschaft?

Eine Recherche nach der Bedeutung von RFP gibt hier leider keinen Hinweis. Ebenso wenig der Vergleich der Handschriften. Aber ich habe jetzt eine Tube Fleckenteufel.

Die Flecken gehen weg, doch das Unbehagen bleibt. Wie passt das in Zeiten, in denen die Kirchgemeinden in Selm die Regenbogenflagge hissen, in denen ein Oberbürgermeister einer Millionenstadt ein Fußballstadion aus Solidarität illuminieren möchte?

Doch ich weiß, auch wenn meine Timeline gerade bunter wird: Die Welt ist keine Facebook-Bubble!

Oliver Hübner - Autor, Blogger und Webgestalter aus Selm und Schwerin, geb. 1968 in Unna

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*