Interview-Podcast – Sigrun Wiedemann, was hilft gegen Einsamkeit im Alter?

Interview-Podcast – Sigrun Wiedemann, was hilft gegen Einsamkeit im Alter?
Reisegruppe von Selm nach Venlo - Illustration von KI erzeugt

“Ich kann nichts dafür – ich muss helfen.”

Sigrun Wiedemann über Erfindungen, Ausflüge und ein prall gefülltes Ehrenamt

In Bezug auf ehrenamtliche Tätigkeiten für ältere Menschen in Selm, ist Sigrun Wiedemann eine Institution. Trotz ihrer 80 Jahre strotzt sie vor Energie und Tatendrang: wöchentlich organisiert sie Busfahrten für Seniorinnen und Senioren, erfindet praktische Lösungen für den Alltag – und hat dabei eine Grundregel: „Ich brauche für mich wenig. Was ich habe, sollen andere mitgenießen.“

In der dritten Folge des Interview-Podcasts SELMundart erzählt sie, wie aus einer Idee eine Bewegung wurde – und warum ein trockenes Brötchen manchmal reicher macht als viel Geld auf dem Konto.

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Sigrun Wiedemann, was hilft gegen Einsamkeit im Alter?
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Intro: Music by Alexander Nakarada / https://www.creatorchords.com


„Der eine wartet, dass die Welt sich für ihn wandelt, der andere spuckt in die Hände und handelt.“

Lebensmotto von Sigrun Wiedemann

„Senioren helfen Senioren“ – und eine Tasche, die Diebe ratlos macht

Angefangen hat vieles mit Sigrun Wiedemanns Engagement im Opferschutz. Aus den dort gehörten Geschichten entstand eine diebstahlsichere Rollator-Tasche, die in der Praxis das tut, was der Name verspricht: Sie schützt Handtaschen vor schnellen Griffen am Korb. Keine Hightech-Lösung, sondern einfach, praktisch und hilfreich – inklusive kleinem Schlüsselfach und einem simplen Trick, der einen unerwünschten Zugriff von Fremden verhindert.
Dass die Idee funktioniert, sieht man an der langen Bestellliste – von Hamburg bis München. Warum sie das macht? „Weil jeden Tag irgendwo Geld aus dem Körbchen geklaut wird. Und das muss doch nicht sein.“

Ausflüge, die den Radius vergrößern

Heute ist Sigrun Wiedemann vor allem Reiseleiterin aus Leidenschaft: In zehn Monaten stemmt sie 23 Tagesziele mit 36 eingesetzten Bussen. Sieben Haltestellen in Selm sorgen dafür, dass auch Rollator-Nutzer*innen bequem zusteigen können. Vor Ort gilt: Freiheit statt Pflichtprogramm. Keine Kaffeefahrten, keine Verkaufsstopps – wer Kirchen mag, geht in Kirchen; wer Fisch essen will, findet den Marktstand. Die Ziele findet sie im Straßenatlas: „Was dort größer geschrieben ist als Lünen, das hat eine Fußgängerzone, da lohnt eine Reise“. Doch muss sich ein Ort bei den Mitreisenden auch bewähren, um regelmäßig angesteuert zu werden.
Ihr Lieblingsmoment? Wenn sich im Bus Familien über Stadtteile hinweg wiederfinden, Plätze reserviert sind, Frühstück in Tupperdosen geteilt wird – und am Ende eine kleine Tauschbörse läuft: selbstgenähte Lavendelkissen gegen eine Spende für den Fahrer. Für sich selbst nimmt Sigrun nichts: „Wenn mir jemand was schenken will, fliegt er aus dem Fenster.“ (Gesagt mit einem Lachen, das keine Widerrede duldet.)
Und wenn auf einer Busreise unterwegs mal zwei Mitreisende verloren gehen? Dann koordiniert sie mit kühlem Kopf Polizei, Krankenhäuser – zur Not sogar den Hubschrauber. Dabei ging es aber immer gut aus, alle Reisegesellschaften kehrten vollzählig nach Selm zurück. 

Geld? Ein Mittel zum Zweck

Um allen eine Mitfahrt zu ermöglichen, subventioniert Sigrun Wiedemann auch schon mal die Fahrt für Personen, die ansonsten daheim bleiben müssten. Manchmal zahlt ein Mitreisender ein bisschen mehr, manchmal ist „zufällig“ gerade eine Spende reingekommen, damit die Nächste mitfahren kann. Und ja: „Ich esse lieber mal trocken Brot, als dass jemand nicht mitfahren kann.“

Ein Weltrekord, Disziplin, Humor – und Heinz Erhardt

Siegrun Wiedemann ist eine Geschichtenerzählerin. Sie kennt zahlreiche Gedichte auswendig, viele davon von Heinz Erhardt, und macht aus jeder Busfahrt eine kleine Bühne. Zwischen Anekdoten steckt Ernsthaftes: Respekt vor Lebenswegen, Empathie statt Stammtisch, die Erinnerung daran, dass niemand sich seinen Geburtsort wählt.
Dazu kommt ein tägliches Programm aus Gymnastik und Hanteln – nicht zum Angeben, sondern um fit zu bleiben für das, was wirklich zählt: „Solange der liebe Gott mich so hält, mache ich weiter.“

Es passt zu ihr, dass sie im Gespräch beiläufig erwähnt, sie habe einmal 998 Kindergartenkinder zu einer Sport-Olympiade auf die Bahn gebracht – dem Guiness-Buch der Weltrekorde war das ein Eintrag wert. 

Zur Person

Sigrun Wiedemann, gelernte Schuhfachverkäuferin, dekorierte Schaufenster, führte Buchhaltungen, war in einem kirchlichen Bauamt tätig, gab Sicherheits-Schulungen und erfand Alltagslösungen mit der Nähmaschine. Dazwischen: Triathlon, 24-Stunden-Schwimmen und ein Eintrag im Guinness-Buch (Kindergarten-Olympiade 1999). Heute ist sie Herz und Motor der Seniorenreisegruppe, die sich als „große Familie“ versteht.


Das Interview wurde am 12. Juli 2025 in Selm aufgenommen von Petra Burkhart und Oliver Hübner. Sigrun Wiedemann hat uns gebeten, kein Foto von ihr zu veröffentlichen.

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