Kolumne: Palmen im Advent – Pro und Kontra
Es regnete. Auf den Biergartengarnituren auf dem Selmer Kirchplatz stand das Wasser, in den zerfließenden Sandhaufen steckten ausgedrückte Zigarettenkippen, nicht im Aschenbecher in des Haufens Mitte, sondern daneben. Drei Personen standen in der Glühweinhütte, während Marius Müller-Westernhagen von Freiheit sang.
„Ach, schade! Eigentlich war Karibik doch gar kein so schlechtes Motto für den Adventsmarkt, nur der Regen passt nicht so ganz“, sagte er. „Dein Ernst?“, erwiderte sie und zählte eine ganze Reihe von Argumenten auf. Er grinste. „Daraus machen wir eine Pro-und-Kontra-Kolumne fürs Magazin, oder?“
Sie nickte, trank den letzten Schluck Apfelpunsch und brachte die Gläser zur Glühweinhütte zurück.
Pro: Mehr Karibik wagen – Glühwein schmeckt auch unter Palmen
Von SELMagazin Redakteur Oliver Hübner
Advent unter Palmen. Das war in diesem Jahr zum Adventsmarkt in Selm ein kontroverses Thema. Zu Weihnachten würden einfach Tannenbäume gehören und eben keine Palmen, so sagten viele. Hm. Ist das wirklich so?
„Advent (lateinisch adventus „Ankunft“), eigentlich adventus Domini (lat. für Ankunft des Herrn), bezeichnet die Jahreszeit, in der die Christenheit sich auf das Fest der Geburt Jesu Christi, Weihnachten, vorbereitet“, weiß Wikipedia dazu.
Jesus Christus wurde bekanntlich in Bethlehem geboren, ein Ort, der heute im Westjordanland liegt. Auf vielen Krippendarstellungen, die die Geburt Jesu zeigen, sind Palmen zu sehen. Keine Nordmanntannen.
Glitzerwald adé!
Aber wie kam es überhaupt dazu, dass zu Füßen der Friedenskirche Palmen in diesem Jahr standen?
Das lag an einer anderen, liebgewonnenen Selmer Tradition jüngeren Datums, dem Glitzerwald. Und vor allem, dass dieser zu kostspielig geworden ist. Die Corona-Pandemie und die 2022 gestiegenen Energiepreise hatten bereits dazu geführt, dass der Glitzerwald in einigen Jahren dunkel blieb.
In diesem Jahr nun stand fest: Die Stadt Selm kann die Kosten von über 50.000 € nicht mehr stemmen und brauchte eine neue Idee. Der Vorschlag des Veranstalters: karibische Palmen. Zugegeben, diese Pflanzen hatten weniger mit der historischen Weihnacht zu tun, schon mehr mit Urlaubs- und Partygefühl. Aber der Gedanke war doch originell! Caipirinha und Piña Colada machen sich auf einem Adventsmarkt allemal besser als Getränke aus biblischen Zeiten.
Natürlich waren die Erwartungen hoch. Der Glitzerwald hatte über die Jahre Maßstäbe gesetzt. Doch die Palmen am Kirchplatz hatten Charme. Der Glühwein schmeckte auch in exotischer Umgebung und selbst der heiße Caipirinha fand mutige Tester – auch wenn Cocktails ohne Eiswürfel gewöhnungsbedürftig bleiben.
Mehr Karibik wagen!
Was ich mir gewünscht hätte: Mehr Karibik wagen! Palmen und Sand waren ein Anfang. Dass es nicht mehr Sand war, der die Tische und den Platz dekorierte war bedauerlich, aber im Endeffekt gut, denn das Wetter an den vier Wochentagen des karibischen Festes, war zu feucht, um angesichts des Sandes an karibische Traumstrände zu denken. Es erinnerte eher an das Wattenmeer bei Sankt Peter-Ording.
Dennoch hätte die Karibik-Inspiration ruhig noch mutiger sein dürfen. Ein paar Reggae-Klänge oder karibische Deko-Details – wie rot-gelb-grüne Strohhalme oder eine Flagge von Jamaika neben der brasilianischen – hätten die Atmosphäre verstärkt. Ja, warum denn keine karibischen Klänge. Es hätte ja nicht gleich die Percussiongruppe mit 12 Trommler*innen sein müssen, aber mal einen Bob Marley aus der Konserve, das wäre doch möglich gewesen. Die Stimmungs- und Schlagermusik war dann wohl ein Zugeständnis an den Musikgeschmack der feierfreudigen Selmer*innen.
Ein interessanter Anfang mit Potential
Insgesamt war „Advent trifft Karibik“ in der diesjährigen Form ein Testballon, ob das Motto angenommen wird.
Ich habe neben kritischen Stimmen aber auch einiges an Lob und Zustimmung gehört. Und wenn es nur der Aspekt war, dass auf dem Kirchplatz mehr Platz war, als in anderen Jahren, da hier der Glitzerwald nur enge Gassen ließ.
Mein Fazit: „Advent trifft Karibik“ war ein interessanter Anfang. Mit ein bisschen mehr Mut und Offenheit für das Ungewohnte könnte daraus eine Tradition werden, die in einigen Jahren niemand mehr missen möchte.
Mehr ausprobieren – weniger meckern. Das täte Selm gut. Für die Stadt wäre es eine Chance, wieder ein Alleinstellungsmerkmal unter den Adventsmärkten der Region zu bekommen, ohne die Kosten, die ein Glitzerwald verursacht. Und für mich als Hobbyfotograf war die palmengesäumte Friedenskirche ein stimmungsvolles Motiv, das ich im nächsten Jahr gerne wiedersehen würde.
Disclaimer: Der Autor war als Mitglied der Werbegemeinschaft Stadt Selm e. V. in die Organisation und den Ablauf des Adventsmarktes involviert.
Kontra: Ist das noch der Selmer Adventsmarkt?
Von SELMagazin Redakteurin Petra Burkhart
Currywurst mit Blattgold, Dubai-Schokolade, Karibik trifft Advent – ich weiß gar nicht, was ich schlimmer finden soll.
Was ist los? Ist uns langweilig? Brauchen wir das Exotische, um das schnöde „Hab-ich-schon-alles“ und „Kenn- ich-schon längst“ zu überwinden?
Was ist an dem guten alten Advent so schlecht, dass wir ihn mit der Karibik an einen Tisch setzen müssen?
Ein Licht im Dunkeln
In dieser dunklen Jahreszeit, wenn die Tage immer kürzer werden und die Versuchung, in Winterschlaf zu fallen immer größer, ist in uns doch eine solche Sehnsucht nach Licht und Wärme. Da kommt doch die Adventszeit wie ein Hoffnungsschimmer. Endlich sind die Straßen wieder geschmückt, all die Lichter und das Funkeln schaffen so allmählich doch wieder Raum für die Vorweihnachtsfreude, bei der ich jedes Jahr leise Sorgen habe, ob sie denn wirklich noch einmal auftaucht oder einfach in all den schlechten Nachrichten, dem Chaos und Gerenne untergeht.
Aber nein, sie kommt. Die Altstadt ist wunderschön geschmückt. Viele Selmer:innen haben hart gearbeitet, damit wir einen schönen, stimmungsvollen Adventsmarkt erleben durften, ein Ort der Begegnung, des Gesprächs, der Musik und der Freude. Ich bin jedes Jahr wieder berührt von unseren wohlklingenden Chören, den Musiker:innen und all den liebevoll ausgestatteten Ständen. Meine Tochter reist schon deswegen an, weil Selm der einzige Adventsmarkt ist, auf dem man Struwen essen kann. Die Selmer:innen stellen da was Tolles auf die Beine.
Und dieses Jahr stehen da Palmen mit Sandhäufchen.
Ein willkommener Treffpunkt
Okay, es ist schön, dass der Adventsmarkt durch „Karibik trifft Selm“ sozusagen verlängert wird und die Möglichkeit gegeben wird, sich zu treffen und die Gemeinschaft zu genießen. Der Erfolg von „Selm trifft sich“ zeigt ja auch, dass wir das gerne tun. Gegen eine Verlängerung spricht nichts. Und es ist auch klar, dass diejenigen, die neben Job und Familie den Adventsmarkt gestalten, beim besten Willen nicht noch mehr leisten können. Deshalb ist gut, wenn professionelle Unterstützung da ist.
Aber es bleibt zu überlegen, wie weit wir dann von dem abrücken wollen, was unseren Adventsmarkt prägt. Wie lange hat es gedauert, bis all diese seltsamen Unterwäschestände und andere Kuriositäten aus dem Weihnachtsmarkt verbannt waren? Bis es wirklich ein Selmer Adventsmarkt geworden ist?
Lieber großartig als groß!
Ich erinnere mich noch so gerne an unseren Adventsmarkt im Jahr des großen Schneefalls, als es so heftig schneite, dass Veranstaltungen abgebrochen und die Menschen früher nach Hause geschickt wurden. Es ist bestimmt mehr als 15 Jahre her. Der Schnee hat dem Adventsmarkt an der Friedenskirche natürlich einen besonderen Zauber verliehen, das war einfach ein glücklicher Zufall. Aber da war noch so viel mehr: Es gab ein Lagerfeuer auf dem Kirchplatz und da stand ein großer, gemütlicher Stuhl oder Sessel – ich weiß es nicht mehr genau – für den Geschichtenvorleser. Es war traumhaft. Nicht groß, aber großartig.
Sollten wir nicht das Einfache und Lokale verteidigen und wertschätzen, das mit so viel Einsatz aufgebaut worden ist? Ich weiß, dass immer weniger Menschen die Energie und Kraft dazu haben, stundenlang Stände zu betreuen und all die Vorbereitungen zu treffen. Das ist verständlich. Ich hoffe noch immer, dass andere nachrücken. Aber wenn nicht, ist dann nicht besser, wir halten es kleiner?
Andere Städte haben mit Konzepten, die da einfach „Weihnachtsmarkt“ heißen, Erfolg. Ich bin davon überzeugt, dass uns das mehr gibt als die Karibik.
Ehrlich gesagt habe ich auch keine Stimme gehört, die das Konzept wirklich gut fand. Jemand sagte: „Damit ist der Kommerz eingezogen. Schade.“ Und es ist doch wirklich schade, wenn der Schatten auf die fällt, die für diesen anderen Adventsmarkt arbeiten.
Ein Weihnachtsmann auf dem Surfbrett
In meiner Neugier und weil in einem Häuschen eine Brasilienfahne hing, die mich stutzen ließ, musste ich dann doch mal googlen, welche Länder zur Karibik gehören und wie man da Weihnachten feiert. (Für den unwahrscheinlichen Fall, dass noch jemand von Geografie so wenig Ahnung hat wie ich, nein, Brasilien gehört nicht dazu. Die Fahne hatte wohl eine andere Bedeutung). Meine Assoziationen zu Karibik waren Inseln mit wunderbaren Sandstränden, Piraten, Rum und Reggae. Natürlich feiert man auch in der Karibik Weihnachten, dort kaufen sie dann Plastiktannenbäume. Witzig. Tun sie tatsächlich, aber keineswegs ausschließlich: sie schmücken auch Palmen mit Lichterketten und schneiden Distelbäume ein wenig wie Tannenbäume zurecht. In einigen Regionen werden Kakteen Weihnachtsmützen aufgesetzt. Entsprechend der Vielzahl der Inseln gibt es ein reiches Brauchtum, beim Essen zum Beispiel Truthahn mit Bananenhackfleischfüllung. Vielerorts wird Weihnachten mit Karnevalsumzügen oder Paraden gefeiert, in denen alle Traditionen der Region zusammenfließen. Der Weihnachtsmann kommt oft auf Wasserskiern und einem kalten Getränk … ja, da ist was los.
Stimmung braucht keine Exotik
Aber in Selm war auch was los.
Wir brauchen keine Exotik. Lasst die doch bitte da, wo sie hingehört, und gebt uns unseren stimmungsvollen Advent.
Allerdings hätte ich da schon noch eine Idee: Könnten wir auch ein Rudelsingen auf dem Adventsmarkt veranstalten? Bei all den stimmkräftigen Sängerinnen und Sängern in Selm wird das sicher klasse. Und der Geschichtenerzähler darf auch gerne wiederkommen.
Allen eine schöne Adventszeit, die die Weihnachtsvorfreude wachsen lässt!
Der Adventsmarkt in der Selmer Altstadt findet jährlich am ersten Adventswochenende statt.
„Advent trifft Karibik“ fand erstmals 2024 statt, am 26. und 27. November und am 3. und 4. Dezember.
Über den Adventsmarkt haben wir auch in einem Artikel berichtet.
Mehr „au ja!“ für neue Ideen oder ist gemütlich und besinnlich für Dich stimmungsvoll genug? Wie haben Dir die weihnachtlich geschmückten Palmen gefallen?
Was wünschst Du Dir für die Zukunft für den Adventsmarkt in Selm. Schreibe uns gerne einen Kommentar.
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