Eine kurze Geschichte der Zeit (-umstellung)

Eine kurze Geschichte der Zeit (-umstellung)
Oh, schon wieder Winterzeit - gähn! - Illustration: KI

Oh, schon wieder „Winterzeit“

Registriert, kurz gegähnt, weiter im Takt. In diesem Jahr nehme ich es erstaunlich emotionslos hin, dass die Uhren zurückgedreht werden. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich in früheren Jahren leidenschaftliche Debatten geführt habe und vehement für den Erhalt der Zeitumstellung, vor allem der Sommerzeit eingetreten bin. Vielleicht gibt es derzeit einfach Dinge, die mehr Empörung und Besorgnisse anderer Qualität auslösen? Oder ist das Thema „Uhren umstellen“ inzwischen einfach Alltag geworden, Routine?

Aber vielleicht ist genau das die Gelegenheit, das Thema ganz unaufgeregt anzugehen:

Eine kurze Geschichte der Zeitumstellung!

Als Jugendlicher, es muss im Jahr 1980 gewesen sein, fuhr ich mit meinen Eltern von Deutschland mit dem Zug in die Schweiz. Es war nur eine kurze, grenzüberschreitende Fahrt. Wir stiegen um 17:52 Uhr (beispielsweise) in Lörrach in die Bahn, unser Zug sollte um 17:21 Uhr den Bahnhof Basel (SBB) erreichen.

„Kann doch nicht sein!“, „Wie soll das denn gehen?“, „Die haben sich bestimmt vertan!“, so unsere Reaktion auf die Fahrplanauskunft.

Als wir in Basel aber aus dem Zug stiegen und auf die Uhr sahen, zeigte diese eine um etwa 30 Minuten frühere Uhrzeit an, als die Uhr bei Abfahrt in Deutschland. Für uns war das Uhrenverdrehen im Frühjahr und Herbst noch ungewohnt, dass die Schweiz sich dem anfangs entziehen würde, darauf kamn wir nicht. Natürlich dämmerte es uns irgendwann: In der Schweiz galt die Mitteleuropäische Zeit, in Deutschland die Mitteleuropäische Sommerzeit. Eine Stunde Unterschied! Erst 1981 schloss sich auch die Eidgenossenschaft der EU an und verstellte ihre Uhren im Frühjahr und im Herbst.

Die langen Sommerabende im Hellen habe ich wirklich immer sehr genossen – draußen sitzen, Feierabend, Terrasse, Licht … herrlich. Auch heute noch.

Und jedes Jahr, wenn das letzte Oktober­wochenende kommt, fühlt sich das Zurückdrehen der Uhr an wie ein Einschnitt: Der Abend rückt gefühlt in den Nachmittag, von einem Tag auf den nächsten.
Und ja: Im Frühjahr ist es morgens mit Beginn der Sommerzeit plötzlich wieder dunkel. Dagegen hilft Kaffee und zwei Wochen abwarten, dann ist es wieder hell. Kein Grund, Trübsal zu blasen. Doch im Herbst, am Abend, da fühle ich mich schon um eine Stunde des Tageslichts gebracht. Die ohnehin dunkler werdende Zeit macht drei Schritte in Richtung Winter auf einmal. Das kann keine Weihnachtsbeleuchtung und kein Glühweinstand so recht ausgleichen. Und das nächste Frühjahr ist noch fern. 

Doch mich darüber aufregen oder empören, nein, das will mir in diesem Herbst kaum gelingen.


Wie fing es an, mit dem Uhrendrehen?

  • Schon Benjamin Franklin berechnete im Jahr 1784 das Einsparpotential von Kerzenwachs, wenn das Tageslicht besser ausgenutzt würde. Er schlug aber nicht vor, die Uhren zu verstellen, er wollte durch frühe Kanonenschüsse die ganze Stadt zeitig aufwecken!

  • Erste ernsthafte Vorschläge zur Sommerzeit: George V. Hudson (1895) und William Willett (1907)

  • 1916: Erstmalig landesweit im Deutschen Reich und in Österreich-Ungarn – zur Kohle- und Licht-Ersparnis im Krieg

  • 1980: Wiedereinführung in Deutschland und der EU

  • Seit 1996: Einheitliche EU-Regelung, März → vor, Oktober → zurück.


Was sind die Vorteile?

  • Es bleibt länger hell am Abend, dadurch sind mehr Tätigkeiten, Freizeit und Sport bei Tageslicht möglich

  • Einheitliche Zeit in Europa möglich, das  erleichtert Verkehr, Wirtschaft & Kommunikation


Was sind die Nachteile?

  • Mini-Jetlag: Schlafstörungen, Müdigkeit, Konzentrationsprobleme, bei vielen Menschen nachgewiesen

  • Energie-Bilanz schwach: Heiz- und Kühlbedarf steigt teils sogar

  • Dunkel am Morgen für Schüler*innen und Pendler

  • Aufwand durch die Umstellung: Technik, Haustiere, Routinen – alles verschiebt sich zwei Mal pro Jahr

Kurz gesagt: Helle Sommerabende sind schön, die Umstellung selbst eher weniger.


Warum wurde die Zeitumstellung trotz EU-Beschluss nicht abgeschafft?

Das EU-Parlament hat 2019 die Abschaffung der Zeitumstellung beschlossen.
Aber:

  • die Länder sind zerstritten, ob dauerhaft Sommer- oder Winterzeit gelten soll

  • Geografie: Aus der unterschiedlichen geografischen Lage folgen unterschiedliche Tageszeiten und so unterschiedliche Interessen

  • Die EU möchte keinen Flickenteppich aus verschiedenen Zeiten im Binnenmarkt

  • Prioritäten sind (vorübergehend) woanders gelandet

Ergebnis: Alles bleibt wie es ist – bis sich alle einigen.


Drei Fun-Facts zur Zeitumstellung

Coldplay-Connection

William Willett, der erste Verfechter der Sommerzeit in Großbritannien, war Ur-Ur-Großvater von Coldplay-Sänger Chris Martin. Und der singt in seinem Lied Clocks über tickende Uhren: „The lights go out and I can’t be saved.“ Ob der familiäre Zusammenhang ein Zufall ist oder das Lied eine bewusste Anspielung auf die alljährliche Zeitumstellung?

Doppelt durchs Gleis

Im Herbst fahren einige Züge zweimal ab – nämlich alle Züge der Deutschen Bahn, die stündlich oder häufiger fahren und zwischen 2 Uhr und 3 Uhr verkehren. Sie fahren in der Nacht der Umstellung sowohl zur alten als auch zur neuen Zeit unter der gleichen Zugnummer. Überregionale Züge halten eine Stunde im Bahnhof und fahren zur „richtigen“ Abfahrtszeit nach der Zeitumstellung weiter.

Die Kühe muhen eine Woche lang früher

Kühe brauchen etwa eine Woche, um sich an neue Melkzeiten zu gewöhnen.
Im Herbst hört man auf den Höfen morgens deshalb oft ein ungeduldiges Muhen – und im Frühjahr geben sie eine Zeit lang weniger Milch. Landwirte gewöhnen ihre Tiere nach und nach an die Zeitumstellung, täglich einige Minuten.


Mein Fazit

Ja, ich bin für die Sommerzeit. Ich will die langen Abendstunden im Hellen, den Feierabend genießen, das Licht.
Aber wenn der Abend im Winter früher dunkel wird? Nun ja – dann ist auch das so. Im Moment bin ich mit dem zweimaligen Wechsel der Uhrzeit zufrieden. 
Aber ich habe auch Verständnis für die Gegenargumente – vor allem für jene, die morgens früh raus müssen, die empfindlich auf Umstellungen reagieren.

Nicht verstehe ich hingegen diejenigen, die behaupten, es werde uns (im Frühjahr) eine Stunde gestohlen. Nein, einfach mal nachrechnen, die fehlende Stunde wird im Oktober zurückerstattet. Und selbt, wer im Juni stirbt, lebt durch die Sommerzeit keine Stunde kürzer.

Schlussendlich sage ich: Ob wir nun dauerhaft Sommerzeit haben, dauerhaft Winterzeit oder weiter umstellen, ich bin in dieser Frage ganz entspannt. Ich sehe wichtigere Dinge, über die man sich emören kann, oder? Im Zweifelsfall: Lieber an der Uhr drehen als an der bestehenden Regelung.

Ach so: Und ich hoffe es hat niemand tatsächlich die Zeit umgestellt, sondern nur die Uhren. Unregelmäßigkeiten im Raum-Zeit-Kontinuum können wir gerade nicht auch noch gebrauchen!

Und korrekt wäre es natürlich anstatt Winterzeit, „normale“ Zeit zu sagen, denn die Sommerzeit ist ja die, die gegenüber der ursprünglichen Zeit um eine Stunde verschoben ist. Doch was ist schon normal?

Was ist normal? Die „Normalzeit“ vielleicht?

Für Selm (bei einer geografischen Länge von 7° 30″ Ost, also beispielsweise an der Werner Straße, Abzweig Auf der Dinkel oder Lünener Straße Abzweig Borker Straße) wäre die „Normalzeit“, also die Zeit, bei der die Sonne genau am Mittag am höchsten steht, 30 Minuten vor der Mitteleuropäischen Zeit. Diese gilt nämlich für eine geografische Länge von 15 ° Ost. Doch wenn nun jede Kommune ihre Normalzeit haben möchte, müssten wir im Zug nach Dülmen die Uhr schon um eine Minute verstellen. Im Zug nach Hamm ebenso, aber in die andere Richtung. Nur in welche nochmal? Moment, ich hab’s gleich, ist ganz einfach …

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