Keinen Rosen für den Haushalt…

Keinen Rosen für den Haushalt…

Vor fünfzehn Jahren arbeiteten Rat und Verwaltung an einem vertrauten Problem. Erkennbar nicht genug Geld in der Haushaltskasse der Stadt, um all das zu bezahlen, was zu bezahlen war und zu bezahlen sein würde im Jahr 2008.

Der Haushalt lag im Entwurf vor – der damalige “Haupt- und Finanzausschuss” hat ihn zwei Wochen nach Karneval diskutiert und zur Beschlussfassung in die Ratssitzung im März geschoben.

Genauer: Auf den 06. März 2008.

Exakt 15 Jahre später trifft sich die neu eingerichtete “Haushaltssicherungskommission” am 06. März 2023 zu ihrer zweiten Sitzung – und erstmals am diesjährigen Rosenmontag.

2008

  • Dezember 2007: 

Der Rat der Stadt beschließt, von der externen Beratungsfirma “Mutter” ein Haushalts-Konsolidierungs-Konzept erstellen zu lassen – denn angesichts des unausgeglichenen Haushaltsentwurfs für 2008 wird die Bezirksregierung eine Haushaltssicherung von der Stadt fordern – die Alternative bei eigener Tatenlosigkeit wäre die Übernahme der Finanzsteuerung durch eine:n Beauftragte:n der Bezirksregierung.

Was wiederum zumindest einstweilen ein Ende der Selbstverwaltung der Stadt bedeuten würden.


  • Januar 2008

Gegen den Widerstand der Kämmerin wird ein weiteres Projekt in die Investitionsliste der Stadt durch Ratsbeschluss aufgenommen (später wird die Diskussion sich drehen, weil die Entlastungs-Straße nicht vom Land, sondern vom Kreis gebaut werden wird).


  • Februar 2008

In der Sitzung des Rates am 21.02.2008 beziffert die Kämmerin die aktuelle Höhe des nach ersten nicht nur positiven Korrekturen nunmehr auflaufenden Defizits mit  5,9 Millionen Euro für 2008.

Weiteres Problem:

  • Die Umsetzung der bisher für 2008 geplanten Investitionen ist angesichts des bereist vorgegebenen Kreditdeckels nicht komplett möglich.

     

  • Die Verwaltung legt der Politik eine Prioritätenliste zur Diskussion vor.
  • Geplant sind 1,8 Millionen
    • “zwingend” sind davon 710.000 Euro, “dringend” 567.000 Euro – sie müssen also in 2008 oder kurz darauf erfolgen – der Rest lässt sich mehr oder weniger lang “schieben”
  • Ein Ratsmitglied fragt nach ersten Erkenntnissen aus der beauftragten Beratung – und wird auf “bald” verwiesen.

  • März 2008

Mit einer Stimme Mehrheit (!) beschließt der Rat in seiner Märzsitzung den im Februar vorgelegten und leicht angepassten Haushaltsentwurf, nimmt erste Änderungen an der Prioritätensetzung vor und ist sich bewusst, dass das “Haushalts-Sicherungs-Konzept” noch zu beschließen sein wird.


  • Juni 2008

Der Rat beschließt als Zielvorgabe ein Einsparvorlumen von jährlich insgesamt 4,7 Millionen Euro und beauftragt die Verwaltung, in den einzelnen Fachämtern bis zum Herbst entsprechende “Fachkonzepte” zur Erreichung dieser Zielvorgaben zu entwickeln.


  • September 2008

Am 18. September 2008 (also “bald”) wird das Haushaltssicherungskonzept erstmals öffentlich in der Ratssitzung thematisiert: Die Stadt erhält eine Förderung durch das Land, mit der Auflage, “bis zum Haushaltsjahr 2010” ein solches Konzept genehmigungsfähig erstellt zu haben.


Die Diskussion der einzelnen Bausteine und auch der Vorgaben zu den Eckwerten ist – so ist aus den Protokollen des Jahres abzuleiten – intensiv, aber nicht-öffentlich geführt worden.

Das ist rechtlich zulässig, wenn die Geschäftsordnung des Rates das explizit so vorsieht oder es explizit (also öffentlich) so beschlossen wurde – allerdings wurde in der Zwischenzeit (genauer: nach der letzten Kommunalwahl) eine grundsätzliche Verpflichtung der Information der Öffentlichkeit über die in nicht-öffentlicher Sitzung gefassten Beschlüsse als Präzisierung ergänzt. Wenn über einen nicht-öffentlichen Beschluss nicht informiert werden soll, so muss dies der Rat ausdrücklich für den Einzelfall beschließen.

Warum dieser Hinweis? Weil die öffentliche Selbstverwaltung der Kommunen ein grundsätzlich öffentliches Handeln ist – es sei denn, es seien berechtigte Interessen zu schützen, die höher gewichtet sind als das Prinzip der Öffentlichkeit.


  • November 2008

Der Rat nimmt die ausgearbeiteten Konzepte “zur Kenntnis” und beschließt gleichzeitig eine Reihe unterschiedlich gewichtiger Fachkonzepte:

  • “Kürzung der freiwilligen Leistungen um 50 %”
  • Gründung der Wirtschaftsbetriebe Selm
  • Streichung weiterer Zuschüsse
  • Erhöhung von Verwaltungsgebühren
  • Reduzierung der Spiel- und Bolzplätze
  • Verkauf von Grundstücken / Vermarktung von Gebäuden
  • … und erste Überlegungen zu den größeren Positionen: Freibad, Hallenbad, Musikschule, Bibliothek, Kultur, Musikschule, Aufgabe des Jugendamtes, Aufgabe der Zuständigkeiten für “Soziales”, die im weiteren Verlauf teils kreativ umgesetzt, teils inhaltlich begründet verworfen werden

Über viele Jahre hat die Stadt seither daran gearbeitet, finanziell wieder eigenständig handeln zu können und die Haushaltssicherung zu verlassen.

Im Haushaltsjahr 2021 endete eine entsprechende Finanzunterstützung des Landes NRW für Selm im “Stabilitätspakt Kommunen Stufe 1”.

Leider wurde die erreichte Leistung seit 2020 durch die Belastungen der Corona-Pandemie und den im letzten Jahr begonnenen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine schwer belastet und teils effektfrei – wenn an der einen Stelle strukturell eingespart werden konnte, reißt an anderer ein neuer Kostendruck große neue Löcher.

2023

  • November 2022

In der Sitzung des “Haupt-, Finanz- und Digialisierungsausschuss” lenkt die Kämmerin die Aufmerksamkeit des Rates darauf, dass zentrale Eckdaten für ihre Erstellung des Haushaltsplanes erst sehr spät aufgestellt werden: Das Land ist noch nicht fertig, der Landschaftsverband Westfalen Lippe ebenso nicht, und auch der Kreis ist noch nicht fertig. Dazu kommen rechtliche Schwierigkeiten bei der Gebührenkalkulation durch aktuelle Urteile und deren Umsetzung.


  • Dezember 2022

In der Ratssitzung bringt die Kämmerin mit ihrer Haushaltsrede2023 den Haushaltsplanentwurf 2023 ein  – anschließend erfolgt die Kenntnisnahme der Haushaltsprognose mit dem Stand vom 30.09.2022.

In der kurzen aufkommenden Diskussion verweist der Bürgermeister auf eine Prioritätenliste aus dem Sommer 2022, die einen guten Überblick über die Investitionsvorhaben für 2022 und deren (eventuelle) Verschiebung ins Folgejahr bietet.


  • Februar 2023

In der Sitzung des “Haupt-, Finanz- und Digitalisierungsausschuss” wird einstimmig die Zustimmung des Rates zur Haushaltsplanung per Beschluss empfohlen.

Allerdings kündigt die CDU Änderungsanträge für die Ratssitzung an – was zu ersten Diskussionen führt – und zum Hinweis, dass auch nach Beschluss des Haushaltsplanes der Rat jederzeit korrigierend eingreifen kann.


Eine Woche später sieht die Situation deutlich anders aus: In den Haushaltsreden in der Ratssitzung wird Rede für Rede erkennbar, dass der Haushalt in der Sitzung eher keine Mehrheit finden wird. Schließlich wird die Beschlussfassung von der Tagesordnung genommen – es beginnen dann am 20. Februar die nicht-öffentlichen Beratungen in der “Haushaltssicherungskommission”.


… wird fortgesetzt …

Geborener Sauerländer, kerngebildet als Theologe, beruflich nun medienarbeitend, erfahren als Bildungswerker und Ressourcenbeschaffer, suchend und fragend, unterwegs seit 1967, zwischen Christentum und Sozialismus nach Gerechtigkeit suchend

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