Zum Lachen oder zum Weinen? Die Wahlplakat-Parade

Irgendwie ist sie fast sogar dezent, die Parade der Wahlplakate in Selm. Und das gute zwei Wochen vor der Bundestagswahl. Mehr als zwei Motive an einem Laternenpfahl konnte ich im Stadtgebiet nirgends finden und an wichtigen Verkehrsadern sind bei Weitem nicht alle Laternenplätze in Benutzung. Das sieht in Nachbarstädten anders aus. Wollen die Parteien etwa die Wähler*innen aus Selm, Bork und Cappenberg nicht von ihren Wahlprogrammen überzeugen?
Vertreten sind nur sechs der 18 Parteien, die am 23. Februar in NRW zur Bundestagswahl antreten. Die Braunen, die in Blau plakatieren, sind dankenswerter Weise bisher in Selm nicht zu finden. Danke, das schont meine Nerven. Doch die Kopfschüttel- und die Lachmuskeln sind ohnehin bei der Betrachtung einiger Slogans überstrapaziert.
Und was wollen sie uns sagen, die Parteien?
Bei der Botschaft der Plakate gibt es offenbar unterschiedliche Strategien. Einige Parteien sagen klar, was sie vorhaben, andere bieten eher vage Projektionsflächen für einen vermuteten (oder gründlich durch Umfragen ermittelten) Wählerwillen. Zwei Themen werden bei den in Selm hängenden Plakaten deutlich: Sicherheit und Migration. Doch um welche Form der Sicherheit geht es den Parteien dabei? (*)
Tipp: Plakate haben nur Platz für eine kurze, reduzierte Botschaft der Parteien. Was wollen die Parteien wirklich, was steht in ihren Wahlprogrammen? Der Wahl-O-Mat hat die Programme aller Parteien analysiert und prüft die Übereinstimmung anhand von 38 Fragen, die man nach eigener Relevanz gewichten kann.
Doch schauen wir uns die Motive und ihre Botschaften näher an.
20 Plakate zur Bundestagswahl, die in Selm gesichtet wurden

Mehr!
Die SPD verspricht mit Kanzler Olaf Scholz „Mehr“. Das klingt in jedem Fall gut, nur was meint er mit „mehr“? Mehr als mit der FDP möglich war? Mehr als Merz verspricht? Mehr Geld im Geldbeutel oder mehr vom Leben? Das große Plakat wird konkreter: Mehr Sicherheit und mehr Wachstum. Hier wäre interessant, welcher Aspekt der Sicherheit gemeint ist. Sicherheit im Straßenverkehr? Tempo 120, da bin ich dabei! Und soll von „mehr Wachstum“ bei allen gleichermaßen etwas ankommen? Das würde ich bei der SPD erwarten. Näheres erklärt bestimmt die genannte Webadresse.

Stolz und Fleiß
Die CDU bemüht deutsche Tugenden und hängt zurecht schief: Fleiß und Stolz auf unser Land. Ich wäre stolz auf ein Land, das sich bemüht, so schnell wie möglich klimaneutral zu werden. Und auf eine Politik, die sich erfolgreich von Parteien abgrenzt, die mit Rechtsradikalen zusammenarbeiten.
Fleiß im Geldbeutel spüren? Das würde ich gerne im Zusammenhang mit Arbeiten im Niedriglohnsektor diskutieren.

Guter Wille und Verantwortung
1. Grenzen setzen: Nein, guter Wille kann auch Empathie und Reflexion nutzen.
2. Verantwortung: Kinder haften auch für Nachlässigkeit ihrer Eltern (-generation) in Sachen Klimaschutz und notwendiger Investitionen, beispielsweise im Bildungssektor.
3. Oberlehrerhaft: Doch hat der Staat einen Bildungsauftrag. Und: Was genau soll mit diesem nebulösen Empörungs-Trigger gemeint sein?

Friede, Freude, Eierkuchen
Wünscht sich unser Land wirklich weniger Migration oder doch eher weniger kriminelle Handlungen von Menschen, die psychiatrische Behandlung bräuchten? Migrant*innen pauschal als unerwünscht zu deklarieren und unter Generalverdacht zu stellen ist einseitig und populistisch.
Ja, Frieden. Das wünschen sich die meisten in unserem Land. Nur welchen Frieden möchte das BSW? Einen Frieden, bei dem ein Land ein Nachbarland besetzen darf und die Welt es gewährten lässt?
Ja, Sicherheit. Das wünschen sich auch viele in unserem Land. Auch hier befürchte ich, dass es dem BSW aber nicht um Sicherheit im Straßenverkehr oder vor der Gefahr durch Gewalt gegenüber Frauen, auch in Partnerschaften, geht. Siehe dazu das Plakat mit Stichwort „Migration“.
Und wer sind diese alten Parteien? Vermutlich ein weiteres populistisches Gespenst, das anderswo Altparteien heißt!

Links, rechts, hoppala!
Das ist ein Wortspiel, das ist lustig. Aber auch ein Bemühen, zu beschreiben, dass Haltungen, die man vor einigen Jahren noch als rechtsextrem angesehen hat, in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Dank einer Diskursverschiebung durch ein Boulevardblatt und rechtsextremer Parteien mit Dauerpräsenz in Talkshows.

Konkret und relevant
Dinge: beim Namen nennen. Hier werden tatsächlich relevante Themen angesprochen und auf den Punkt gebracht. Für mich glaubhaft. Seltsam, dass diese Partei (Bündnis 90/Die Grünen) von anderen Parteien aus dem demokratischen Spektrum als politischer Feind Nr. 1 gesehen wird.

Zuversicht und Klimaschutz
Ein interessanter Punkt, der oftmals beim Thema Klimaschutz übersehen wird: Klimaschutz ist kein Selbstzweck, sondern schützt die Lebensbedingungen aller Menschen.
„Zuversicht“ klingt pauschal, ist aber ein interessanter Gegenpol zum Zeitgeist des Rummäkelns an Vielem und Allem. In Verbindung mit dem Klimaschutz könnte es bedeuten: „Wir schaffen das (noch)“
Auch hier: Beide Plakate sind sachlich und unaufgeregt.

Direkt und quick
Zwei an Botschaft sparsame Wahlplakate zeigen die Direktkandidaten der SPD und der CDU. Gute Idee der Sozialdemokraten auf dem Plakat von Michael Thews: Mehr Info erhält man direkt aufs Handy, wenn man den QR-Code (Quick-Response-Code) scannt. Modern und digital-affin.
Arnd Hilwig von der CDU setzt auf Wachstum und Sicherheit, kein Alleinstellungsmerkmal der Christdemokraten auf den Plakaten in Selm. Auch hier die Fragen: Sicherheit wovor, Wachstum für wen?

Direkt und überraschend
Zwei weitere Plakate von Direktkandidaten in unserem Wahlkreis kommen von den Grünen und der FDP. Beide sind für mich positiv überraschend.
Stabilität ist eher keine Tugend, die ich bei den Grünen verorten würde. Aber warum nicht? Stabilität des Klimas, Stabilität unserer Demokratie und des Rechtsstaates?
Der Kandidat der FDP setzt auf einen Markenkern der FDP, die Freiheit, und verbindet sie mit persönlicher Freiheit von Menschen, für die sie nicht immer selbstverständlich ist. Barrierefreiheit ist ein wichtiges Thema, das zu selten den Weg in die politischen Debattten findet.
(*) Anmerkung zur Debatte um Sicherheit: Sicherheit wird im Wahlkampf meist im Zusammenhang mit Migration genannt. Doch gerade die Attentate von Magdenburg und Aschaffenburg sind von Tätern ausgeübt worden, die psychisch bereits auffällig waren. Solche Taten sind nicht selten und werden von Menschen jeglicher Herkunft begangen. Migration zu begrenzen hilft nicht, diese Taten zu verhindern. Eine viel größere objektive Gefahr geht zum Beispiel für Frauen von häuslicher Gewalt aus. Außerdem sterben im Straßenverkehr in Deutschland Monat für Monat etwa 250 Menschen. Ein Teil davon ließe sich beispielsweise durch ein Tempolimit verhindern. Eine Debatte über Sicherheit, die diese Punkte nicht berücksichtigt, ist nicht ehrlich. Eine interessante Diskussion zu diesem Thema ist auf dem Forum des sehr guten Podcasts „Lage der Nation“ nachzulesen.
Ein Fakten-Check zum Thema „Mehr“ und „wer profitiert da eigentlich vom Wachstum?“:
Die Zeitschrift Katapult hat untersucht, welche Einkommensgruppen wie stark von den Steuerplänen der Parteien profitieren würden. Das ist sehr aufschlussreich.
Für diesen Artikel wurden Plakate aller Parteien berücksichtigt, die in Selm bis zum 06.02.2025 aufgestellt wurden. Die Analyse der Botschaften ist aus der persönlichen Sichtweise des Autors geschrieben. Es spiegelt nicht die Meinung der gesamten Redaktion wider.
Hast Du eine andere Meinung oder siehst die Botschaften der Plakate anders? Prima! Schreib uns doch gerne einen Kommentar. Und bleibe dabei bitte höflich und sachlich.
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