Egal. Hauptsache wach. [Kühne Welt Provinzausgabe No. 2]
Karikatur von Guido Kühn

Egal. Hauptsache wach. [Kühne Welt Provinzausgabe No. 2]

Da ist sie wieder, die MESZ.

Irgendwie unaufgeregt in diesem Jahr. Früher, ja, früher wurde ich tagelang vorbereitet auf diesen einen Sonntag im März. Spätestens am Samstag häuften sich die Hinweise, meine Zeit-Geräte in den Griff zu kriegen und gerade rechtzeitig die Stunde zu berücksichtigen, die mir dann am Sonntagmorgen eben nicht überraschend fehlen würde.

Irgendwie sind in diesem Jahr andere Themen wichtiger.

Nach 3 Jahren Pandemie ist das Gesundheitssystem immer noch nicht stabil – und auf die Krankenhäuser wartet die bittere Diskussion um die erneut richtige Reform. Wobei das „Warten“ dieser Diskussion eher ein erstaunlich aggressives Tempo einschlägt.

Nach einem Jahr Krieg Russlands gegen die Ukraine erschreckt noch nicht einmal die Nachricht, dass taktische Atomwaffen an einer neuen Stelle positioniert werden sollen.

Die einen machen klar, dass aufgrund der Reichweite exakt kein Bedrohung Unterschied besteht, die anderen weisen darauf hin, dass es diese Waffen eventuell schon gar nicht mehr gibt, schon gar nicht einsatzfähig.

Die Brücke von der Sommerzeit zum Krieg ist gar nicht so brüchig wie es auf den ersten Blick scheint. In Deutschland und Österreich wurde in der Mitte des Ersten Weltkrieges die Sommerzeit eingeführt um Energie zu sparen. Echte Pionierarbeit. Mit dem Kriegsende endete auch die Sommerzeit.

Mit dem gleichen Argument der Energieeinsparung wurde die Sommerzeit dann nach der Ölkrise der 70er-Jahre neu diskutiert – und 1980 in BRD und DDR parallel umgesetzt.

70 Jahre nach ihrer Erst-Einführung in zwei Ländern wurde 1996 die Sommerzeit innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums mit der Schweiz – aber ohne Island – „vereinheitlicht“, das ist jetzt 28 Jahre her. 20 Jahre danach zerbröselte das Argument der „Energieeinsparung“ mit einer Studie: 0,21 Prozent Einsparung. Wiederum drei Jahre später: Das EU-Parlament beschließt 2019 die Abschaffung zum April 2020.

Seitdem: Streit. Denn jedes Land soll für sich entscheiden, ob die “Sommerzeit“ oder die „Winterzeit“ verewigt werden soll. Und die Regierungen haben bislang der Vorlage des Parlaments nicht zugestimmt.

Mein Ergebnis: Mir egal.

Das scheint der Masse der Menschen in Europa ähnlich zu gehen. 2018 gab es eine EU-weite Umfrage, 446.000.000 Menschen zählte damals die Bevölkerungsstatistik in den damals 28 Ländern der Union. Beteiligt haben sich gut 4.600.000 Menschen, davon allein 3.000.000 aus Deutschland.

Das Votum: Weg mit der Zeitumstellung, her mit der Sommerzeit auf Dauer.

Wenn ich auf die Beteiligung sehe, dann ist das alles der Masse der Menschen „eh egal“.

Woran liegt es? Die Sommerzeit sollte „Energie sparen“ – weniger Beleuchtung am Abend. Das hat nicht funktioniert. Es wurde gleichzeitig mehr geheizt, es gab mehr Verkehr, das zeigen die Daten seit der Einführung der Sommerzeit.

Damit entfällt die Basis: Die Sommerzeit ist kein geeignetes Instrument, um Energie zu sparen.

Inzwischen haben wir ja eigentlich auch gelernt, dass der Weg zur Lösung des Energieproblems eher ist, die vorhandene Energie effizient zu nutzen. Klingt nach Wortspiel, ist aber ein gravierender Unterschied.

  • Das „Sparen“ setzt vor allem darauf, dass der einzelne Mensch motiviert ist, „weniger auszugeben“.
  • Die „Effizenz“ setzt darauf, dass das Gesamtsystem den Energieaufwand auch dann reduziert, wenn der einzelne Mensch nicht mitspielt.

Neues Ergebnis: Mir nicht egal

Mir nicht egal ist die Frage, welchen Weg wir als Gesellschaft finden können, damit eine nachhaltige Energiewirtschaft entsteht. “Sparen” führt dazu, dass die ohnehin krassen Unterschiede der Lebensverhältnisse noch krasser werden: Wenn der eine die Fahrt aufs Land mit dem großen SUV sich spart und so “seinen Beitrag” leistet – spart sich die andere das Heizen der Wohnung und das warme Duschwasser.

Sozial gerecht ist der Klimaschutz erst dann, wenn die Bewältigung der Krise nicht den einen die Lebensgrundlagen und den anderen das “Nice-to-have” reduziert, weil Energienutzung allein über den privaten Konsum gesteuert wird.

Ob nun Sommerzeit oder Winterzeit – das bleibt egal. Aber. Nicht egal ist die Wahl der Mittel, um nachhaltig Energie nutzen zu können. Da darf keine Zeit verschwendet werden, da sollte das Durchsetzen von Einzelinteressen zügig gekippt werden, um komplexe Lösungen schneller möglich zu machen.

Meine Hoffnung: Das Ziel verstehen

Je krachender die aktuellen Klimaziele verfehlt werden, weil wir den Fokus einer sozial gerechten Klimaanpassung verbretzeln, desto stärker muss der Impuls werden, aus der ablaufenden Frist Ernsthaftigkeit zu entwickeln und eher jetzt schwere Schritte zu gehen, als später brutalstmögliche Notmaßnahmen ergreifen zu müssen.

Ausriss aus der Beschlussvorlage zum Haushalt 2023 Stadt Selm

In einem aktuellen Haushalt für die Stadt Selm 100.000 Euro für 2023 problemfrei streichen zu können, weil in diesem Jahr “kein akuter Austausch in Wärme- und Energietechnik kommunaler Liegenschaften nötig ist” – scheint da eher kein guter Plan zu sein. Zumal diese 100.000 Euro komplett entfallen und nicht in die nachfolgenden Jahre geschoben werden, wie dies bei anderen aktuellen Sparmaßnahmen erkennbar ist.

Aber – all das wurde, wenn auch bestimmt sorgfältig und engagiert, nicht-öffentlich diskutiert, nicht öffentlich begründet. Insgesamt wurden durch die Haushaltskommission 2.970.000 Euro in “2023 eingespart” – es wären 180.000 Euro mehr, wenn nicht neue zwingende Ausgaben in dieser Höhe dazugekommen wären.

Aber: Echte “eingespart” und nicht verschoben auf spätere Jahre sind davon nur 970.000 Euro.

Davon 100.000 Euro für “Wärme- und Energietechnik”, 200.000 Euro “Mittel für den An- und Verkauf von Grundstücken”, 300.000 Euro für den barrierefreien Umbau von Haltestellen, 275.000 Euro für den Bau einer sicheren Querung am Kreisverkehr in Bork (allerdings taucht diese “investive Einsparung” dann später als kommunale Ausgabe wieder auf) und 95.000 Euro für den Fuß- und Radverkehr in Bork.

Ich bin gespannt, “wie egal” das alles ist. Oder “wie wach” das Interesse der Wahlbürger ist, wer was warum ins Rennen gebracht hat von diesen Plänen.

Karikatur von Guido Kühn

Geborener Sauerländer, kerngebildet als Theologe, beruflich nun medienarbeitend, erfahren als Bildungswerker und Ressourcenbeschaffer, suchend und fragend, unterwegs seit 1967, zwischen Christentum und Sozialismus nach Gerechtigkeit suchend

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