Fast gleich. [Kühne Welt Provinzausgabe No 4.]

Fast gleich. [Kühne Welt Provinzausgabe No 4.]

Fast gleich, also fast nicht mehr erkennbar unterschiedlich.

"Well ... "
würde der englische Kollege sagen.
Und das wäre ein deutliches Signal dafür, dass er ernstlich besorgt wäre.
Seine Stirn würde sich zahllose Falten legen, sein Hirn auf Hochbetrieb schalten, dann würde es eine Weile dauern, bis sein Mund sich öffnete und eine zeitgemäße Kurzfassung seiner insgesamt komplexeren Gedanken aus ihm heraus hörbar würde:
"What the Fuck?"

Kann ja schon mal passieren, dass man im Bundestag abstimmt, wie man abstimmen will, wenn irgendwie dreimal der gleiche Antrag auf der Tagesordnung steht.

Allerdings beginnt hier schon das Problem. Der Ausschuss, in dem das stattfindet, tagt “Nicht öffentlich”. Es gibt auch keine öffentlichen Protokolle – es bleibt das Geraune aus dem halbprivaten Bereich nach der Sitzung.

Einzig die vorab öffentliche Tagesordnung lässt erkennen, welches Mammutprogramm in diese Sitzung (Beginn: 14.30 Uhr // Beschlussfassung um 15.15 Uhr) am letzten Mittwoch gepresst wurde:

  • 17 Tagesordnungspunkte
  •  37 verlinkte Dokumente // Berichte
  • 1 Gespräch mit Minister Habeck
  • 1 Unterrichtung zur Kassenlage
  • 1 Unterrichtung zur scheiternden Asylregelung in Europa
  • 1 Infoblock zu fünf weiteren Gremiensitzungen

Nachvollziehbar ist das schon, dass mancher inhaltliche Austausch eher nicht öffentlich stattfinden sollte – es geht oft schneller, weil alle im Thema sind, weil die Kompromissfähigkeit ohne Öffentlichkeit größer sein mag, weil eine Konzentration auf “Wesentliches” möglich ist, weil nicht alle zu allem reden müssen, damit sie “öffentlich” gehört werden.

Die Tagesordnung macht ja eines deutlich:
die schiere Masse ist nur beherrschbar, wenn hinter jedem und jeder Abgeordneten ein hochtourig arbeitendes Büro steht, sitzt und mitdenkt und vordenkt.

Damit eigentlich um so schlimmer, wenn mal eben so aus dem Handgelenk abgestimmt wird.

"Früher, ja früher war mehr Lametta ... äh ... Nachdenken"

Ganze Werbeschlachten werden geschlagen, um ein Kürzel ins Gehirn zu brennen. TEMPO ist nicht irgendein ein Papiertaschentuch - so heißen sie irgendwie alle. Die Nutzung von Suchmaschinen nennt sich googlen. Raider war irgendwann Twix, sonst änderte sich nix. Und das neue 10-Punkte -Programm der CDU/CSU lässt sich leider ganz blöd abkürzen: "Agenda für Deutschland". Klingt teils auch so, als habe man da mit den Gehirnzellen eher ungenau gearbeitet.

Aber eigentlich: Was will man erwarten von einem ehemaligen Minister, der mal eben so Verträge unterschreibt, obwohl sogar der Vertragspartner das unangenehme Gefühl hatte, dass der Vertrag nicht die notwendige europarechtliche Bestätigung erhalten könnte. Das war dem damaligen Verkehrsminister aber egal – und kostet nun 243.000.000 Euro Schadensersatz, immerhin nur die Hälfte der ursprünglich strittigen, weil als Einnahme versprochen Summe, weil das heutige Verkehrsministerium einen Vergleich akzeptiert, der vom damaligen Vertragsunternehmen  mitgetragen wird. Plus aktuell etwa 26.000.000 Euro an Verfahrenskosten rund um die idiotisch durchgeprügelte Mautregelung, die nie in Kraft getreten ist.

Entsetzen löst allerdings medial nicht dieser dreiste Vorgang aus, sondern die Bösartigkeit der Bundesregierung, das Elterngeld ab dem kommenden Jahr nur noch für familiäre Bruttoeinkommen von unter 180.000 // netto: 150.000 Euro auszahlen zu wollen. Weil gespart werden muss.

Vermutlich werden hier die betroffenen etwa 60.000 Familien, denen zwölf Monate lang diese maximal 1800 Euro Elterngeld nicht gezahlt werden, niemals wieder über Kinder nachdenken…
Im schlimmsten Fall fallen 75.000 Euro Nettoeinkommen weg – die mit Elterngeld durch 21.600 Euro kompensiert worden wären.

Meine Frage dazu: Wie kompensiert denn diese am Hungertuch nagende Familie die restlichen fehlenden Euro? Das sind immerhin fast 53.000 Euro. Was übrigens in etwa fast dem doppelten bundesdeutschen Netto-Durchschnittseinkommen je arbeitendem Menschen entspricht.

Nur nebenbei: Elterngeld wird auch dann ausgezahlt, wenn bis zu 32 Stunden je Woche ganz regulär gearbeitet wird – natürlich unter Berücksichtigung des durch Arbeit erreichten Nettoeinkommens. Die Grundidee ist ja, dass es das Elterngeld “leichter” machen soll, ein Kind zu finanzieren – und nicht “grundsätzlich”das Kind finanzieren soll. Deswegen wird ja auch das Kindergeld in Höhe von 250 Euro zusätzlich gezahlt.

Moment – das “Grundsätzliche”wäre ja auch der Job der Kindergrundsicherung. Die von der Regierung vereinbart und versprochen ist. Die vor allem denen helfen soll, die deutlich unter dem Median-Einkommen verdienen.

Aber …

… das wäre dann ein neues, sehr großes “Well…”.

Alle Karikaturen von Guido Kühn - vielen Dank! --> https://www.guidos-welt.de/

Geborener Sauerländer, kerngebildet als Theologe, beruflich nun medienarbeitend, erfahren als Bildungswerker und Ressourcenbeschaffer, suchend und fragend, unterwegs seit 1967, zwischen Christentum und Sozialismus nach Gerechtigkeit suchend

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