Ein unterschätzter Schatz – Das Stein’sche Denkmal in Cappenberg
Lieblingsplatz in Selm
Wer Highlights in Selm sucht, landet in der Regel bald auf Cappenberg. Das Schloss Cappenberg, die Stiftskirche mit dem viel beworbenen Barbarossa-Kopf, einst hochgeschätzter Alterssitz des Freiherrn von Stein, der seine Naturliebe in der bis heute wunderschönen Parkanlage mit den mächtigen Bäumen zum Ausdruck gebracht hat.
Und ganz nahe dabei:
Das sogenannte Stein’sche Denkmal. Mein persönlicher Lieblingsplatz in Selm.
Auch wenn die geschichtsträchtige Seite von Cappenberg das Erste war, was mich angelockt hat – bei dem Steinkreis unter der Linde zu sitzen, den Blick über das Tal schweifen zu lassen, vermittelt mir ein tiefes Gefühl von Harmonie und Gleichgewicht. Die Steine erinnern an etwas sehr Altes. Die Platte, auf der sie stehen, erinnert mit ihrer Rosettenform an ein Kirchenfenster, was dem Platz etwas Sakrales verleiht.
Zwar kamen mir die Zeichen auf den Steinen etwas kryptisch vor – aber die Atmosphäre dieses Platzes ist immer besonders.
Ich habe mich gewundert, dass es zu diesem Steinkreis keines der üblichen Hinweisschilder gab. Keine Nennung des Erbauers oder Erklärung der Symbolik. Schauen Sie ruhig mal auf der Website der Stadt Selm nach. Da finde ich noch immer nichts zu diesem Denkmal.
Was man heute einfach googeln kann, war vor Jahren noch nicht so ein gangbarer Weg. Deshalb hat es Jahre gedauert, bis ich herausgefunden habe, was es mit den Steinen auf sich hat.
Was hat Selm, was Berlin nicht hat?
Ein Werk von Marko Pogačnik.
„Uh“, werden Sie jetzt vielleicht sagen: „Nie gehört.“
Nun, Marko Pogačnik (gesprochen: Pogadschnick) ist ein weltweit anerkannter und agierender Bildhauer und Geomant – also jemand, der sich mit Erdheilung beschäftigt. In den 80er Jahren entwickelt er die geomantische Methode der „Lithopunktur“. Wie es der Name schon andeutet, setzt der Geomant Steine wie Akupunkturnadeln, um die Energieströme der Erde – manche nennen sie Ley-Lines – zu aktivieren, ins Gleichgewicht zu bringen, zu heilen. Im Prinzip genau so, wie Akupunktur beim Menschen eingesetzt wird.
Schon verstanden, Akupunktur begeistert nicht jeden. Aber wenn man die Landschaft auf sich wirken lässt, dann fühlt sie sich gesund an. Wie wir das von Menschen auch kennen, dass wir spüren, ob es jemandem gut geht oder nicht. Meistens merkt man es auch einer Landschaft an, ob sie belastet oder zerstört worden ist. Was wir aber suchen – als Touristen oder in unserer Freizeit – sind doch Plätze, an denen wir auftanken können. Weil sie intakt sind. Diesen ursprünglichen, gesunden Zustand wiederherzustellen, ist das Ziel von Pogačnik. Seine Arbeit hat auch damit zu tun, was über die Jahrhunderte in dieser Landschaft geschehen ist, welche Werte gelebt, welche Taten oder Schandtaten begangen wurden. Eine Landschaft vergisst nicht, was sie gesehen hat.
Pogačnik hat in Cappenberg tatsächlich einen stilisierten Megalithtempel gebaut. Wer sich also an Steinkreise der Jungsteinzeit erinnert fühlte, liegt damit ziemlich gut. Die Steine, seine Nadeln, hat Pogačnik, entsprechend der Geschichte dieser Region, mit Erinnerungen, mit Impulsen gespeist. Er nennt sie Kosmogramme. Das sind diese, auf den ersten Blick nicht leicht verständlichen Linien auf den Steinen. Auf der Außenseite sind Impulse aus Steins öffentlichen Wirken eingearbeitet, besonders die Idee der Weiter- und Höherentwicklung des Menschen. Vier der Reliefs greifen biblische Themen als zentrale Themen des Menschseins auf.
So sehen wir auf diesen Steinen den Menschen als Individuum, eingebunden in Familie, die Gesellschaft, in seine historische Situation und eingebunden in den Kosmos. Aber so, wie der Mensch im öffentlichen Raum verantwortlich und aktiv teilhaben soll, repräsentiert durch die Außenseite des Kreises, so gibt es auch die Innenseite des Steinkreises. Auf der Innenseite ist die Spirale das zentrale Gestaltungsmittel, Zeichen der Weiterentwicklung. Im Innenkreis steht sie für die innere, persönliche, geistig-moralische und künstlerische Entwicklung des Menschen.
Diese Spiralen stehen im Sinne von Steins für die Arbeit auf ein vollkommenes Leben hin. Pogačniks Gestaltung geht da einen Schritt weiter, ihm ist die Ganzheit, die Einheit wichtig, die Verbindung von innen und außen, von oben und unten wichtig, von alltäglichem und kosmischem Handeln, vom Kleinen zum allumfassend Großen. Deshalb bettet die Linienführung ein, verwebt die verschiedenen Dimensionen miteinander. Der Mensch handelt nicht allein. Die kosmischen Kräfte wirken ebenso wie die irdischen. Auf einfache Weise wird diese Wechselseitigkeit auf den drei Steinen gegenüber dem Eingang zur Stiftskirche gezeigt: man sieht auf dem rechten Stein einen Engel, der zur Erde kommt – seine Hände sind wie segnend am unteren Rand des Steines – und er andere Stein zeigt die Hände oben, sie richten sich zum Himmel.
Ich habe mich gefragt, wie wir heute zu diesen Impulsen stehen, die uns der große Reformer von Stein mitgegeben hat. Ein Impuls ist sicherlich seine Liebe zur Natur, zu dieser Landschaft und ihren Bewohnern. Aber wie ist unser Verhältnis zu diesem Wert „verantwortliche Teilnahme“ zu beschreiben? Wie stellen wir uns unsere persönliche, geistige Weiterentwicklung vor? Sind wir noch interessiert daran, unsere Naturliebe, wie Stein das getan hat, aktiv zu gestalten?
Und würden wir heute noch jemanden wie Pogačnik beauftragen? Ihm geht es um die Erde. Er ist eine Größe auf seinem Gebiet, inzwischen 80-jährig, immer noch dabei, die Erde und all ihre Geschöpfe besser kennenzulernen, und gleichzeitig zu lernen, wie wir unsere Liebe zur Erde leben können. „Erdwandlung als persönliche Herausforderung“ ist ein Titel seiner Bücher. Er sieht den Menschen in einem Geflecht von sichtbaren und nicht sichtbaren Lebensformen und großen Veränderungen auf dieser Erde.
Die Liste von Pogačniks Publikationen ist lang, die seiner Lithopunktur-Arbeiten auch: Prag, Zagreb, Stelen in Italien, Österreich, Schweiz, Nordirland/ Republik Irland, Slowenien, Ecuador, Brasilien … und: Selm.
Wieso ich gerade Berlin mit Selm verglichen habe? Weil ich die Möglichkeit hatte, mir in Berlin einen Vortrag von ihm anzuhören und bei einem Workshop mitzumachen. Wir saßen zusammen und unterhielten uns, wer woher zu dem Workshop angereist ist und aus welchem Anlass. Ich sagte, ich käme aus Selm. Seine schlichte Antwort war: „Ja, ich war in Cappenberg.“ Am nächsten Tag diskutierten die Berliner darüber, ob es nicht doch auch in Berlin möglich wäre, eine Arbeit von ihm …
Wir haben da einen wirklichen Schatz!
Marko Pogačnik
(geb. 1944), lebt in Slowenien. Er ist Bildhauer, Landart-Künstler und Autor vieler Bücher zum Thema Erdheilung. Seit 2005 baut er das weltumspannende Projekt der Geopunkturkreise. 2016 wurde er als UNESCO Artist of Peace ausgezeichnet.
Links
- Eine ausführlichere Darstellung der Themen des Denkmals findet man auf: „Westfälische Geschichte“ – Seite des LWL
- Marko Pogačnik auf Wikipedia
- Website von Marko Pogačnik
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Hallo, tatsächlich nicht zu verstehen, warum die Stadt Selm dieses Kunstwerk nicht gebührend vorstellt. Es war sehr interessant zu lesen. So sind wir wieder etwas schlauer geworden.
Danke für die Rückmeldung. Vielleicht wird es ja mal seitens der Stadt aufgegriffen.
Ich habe den Artikel sehr gerne und mit Gewinn gelesen. Die Stelen habe ich zwar schon gesehen, mir aber keine weiteren Gedanken darüber gemacht. Beim nächsten Besuch auf Cappenberg werde ich sie mir nun genauer anschauen und ihrer Bedeutung vor Ort nachspüren.
Danke für den Kommentar. Viel Freude beim Erkunden des besonderen Ortes!