
Selmer Alltagsspuren: Hat der Wahnsinn schon Methode?
Was mich zu der Überschrift bringt?
Das Gehudel unter Corona-Bedingungen.
Da wird für nicht gerade kleines Geld aus dem öffentlichen Steuertopf eine App beauftragt, mit der es möglich sein soll, Menschen bei erhöhten Risiken auf eine Infektion mit COVID-19 zu warnen – und zwar so, dass der Staat dabei eben gerade nicht zum großen Überwacher werden kann. OK, es war eventuell keine so tolle Idee, T-System und SAP zu beauftragen – zu träge, zu groß, zu teuer. Aber was erwarte ich schon vom Gesundheitsministerium? Etwa ausgerechnet hier beratungsoffene Sachkenntnis? Öhm. Nö. Nicht wirklich. Nicht mehr.
Trotzdem: Das Ding wird an den Start gebracht, die Personen-Daten-Schützer sind landauf-landab überraschend zufrieden. Auch wenn sie das Tempo hassen und an der Trägheit der Weiterentwicklung zu ausgereiften Wut-Informatikern mutieren. Aber: Deutsch Ding will Weile haben. Immerhin: es läuft, immer mehr Menschen installieren die App auf ihren Handys, immer mehr Menschen tragen auch brav ihre positiven Testergebnisse ein. Und warnen so die anderen.
Macht also im Kern, was es soll. Die CWA. Langsam nur kommen Verbesserungen, aber … eigentlich ein Erfolg.
Gut, es bleibt die Stumpfheit (aufgrund von Überforderung fast verzeihbar) der Behörden und Arztpraxen, die positive Testungen zu langsam verarbeiten
Es bleibt die strunzdumme Kommunikation rund um die Warnapp. Aber: Es läuft.
Am 15. April 2021 ist es ein Jahr her: Bundesregierung und Ministerpräsidentenkonferenz wollen eine zentrale Lösung für eine COVID-19-Warn-App in Auftrag geben: Alle Daten sollen gebündelt zusammenlaufen und zentral erfasst werden. Sofort kam heftiger Gegenwind auf, der massiv infrage stellte, ob auf diesem Wege nicht der Schutz der personenbezogenen Daten mutwillig und ohne Zwang aufgegeben werde. Der Protest der kritischen Einzelstimmen, Gruppierungen und Verbände bekam schnell unvermutete Unterstützung. Apple und Google weigerten sich, eine zentrale Erfassung technisch möglich zu machen.
Also wurde am 26. April eine Software in Auftrag gegeben, bei der die Daten nur auf dem Handy der Benutzer gespeichert werden sollten – und die auf anonymen Wege dennoch eine Warnung generiert, wenn der Benutzer, wenn die Benutzerin einem Infektionsrisiko ausgesetzt war.
Die Entwicklungskosten betrugen rund 20 Millionen Euro, von denen gehen 9,5 Millionen Euro an SAP und bis zu 7,8 Millionen Euro an die Telekom-Tochter T-Systems.
Henning Tillmann hat das Funktionsprinzip hier sehr klar beschrieben.
Die luca-App setzt nicht auf eine technische Unterstützung und automatische Erfassung von Kontakten – sie soll dabei helfen, die Anwesenheit bei einer Veranstaltung nachvollziehen zu können. Das kann der Besuch eines Geschäftes, ein Konzertbesuch, ein Kneipenabend oder auch ein privates Treffen sein. Der Benutzer, die Benutzerin gibt in das Handy die eigenen Daten ein und scannt zum Anmelden und Abmelden einen QR-Code, der diese Daten dann mit dem besuchten Ort und der Zeit des Besuchs verknüpft. Die Daten werden beim Veranstalter, bei der Veranstalterin gespeichert (genauer: bei der Bundesdruckerei als Dienstleister), verschlüsselt gespeichert, aber dem Gesundheitsamt im Bedarfsfall zugänglich. Auch auf dem Handy des:der Benutzer:in sind die Daten 30 Tage gespeichert.
Im Prinzip kann der Besucher, die Besucherin dann über diesen “digitalen Fingerabdruck” ermittelt und informiert werden.
Ziel des Ganzen: Papierlisten vermeiden, Kontaktnachverfolgung beschleunigen.
Nicht ganz so sachlich hat sich Jan Böhmermann mit der luca-App befasst.
Etwas nüchterner diese Auswertung und Beschreibung.
Genervtes Alternativgesuche
Aber natürlich – ist das nicht alles. In den Phasen, da es ein “lockerererererer Lockdown”, den ich selbst anfangs auch ganz toll fand, möglich machte, endlich wieder in eine Kneipe, ein Restaurant zu gehen – da wurde es knifflig. Zu wenig Menschen hatten die App installiert, die App war noch zu frisch, damals, im Sommer 2020.
Und die Idee war: “Auf, lasst uns Listen führen, immer dann, wenn Menschen sich treffen. Per Hand, wenn wir die brauchen, dann holen wir die uns beim Veranstalter, bei der Veranstalterin ab.”
Tja. Unleserlich ausgefüllt, mit Pseudonymen ausgefüllt, mit Falschnamen ausgefüllt, ignoriert, aus dem Gedächtnis nachgebastelt – keine gute Idee, was alles mit den Listen geschah. Außerdem konnte ich immer gut sehen, wer denn sonst so da war, wo ich gerade war. Oder mal eine Telefonnummer erspähen…
Das musste anders gehen. Ging auch anders, recht schnell gab es ziemlich viele Angebote, den Besuch über eine App zu registrieren. Aber: Jeder und jede nutzte eine andere – so viel Lust auf ständiges Installieren habe selbst ich nicht gehabt.
Die CWA hat sich da leider weggeduckt – war wie bei vielem anderen zu langsam.
Berühmt wurde dafür bald “luca” – aber eher nicht, weil die App so großartig ist – sondern weil die Werbung über einen der FantaVier so genial läuft. Ist schon prima, wenn ein kritischer Mensch dafür einsteht, den Alltag endlich wieder lebbarer zu machen. Geh mir weg mit der Regierung und diesen ganzen Bedenkenfuzzis…
Also: Große Begeisterung, erste Pilotprojekte, krasse Kritik der Personen-Daten-Schützer… Aber… die sind ja eh nervig. Ohne Datenschutz hätten wir die Pandemie vermutlich samt dem Welt-Hunger-Problem längst besiegt!
luca - ganz toll, ganz schnell - oder auch nicht...
Ganz fair ist das nicht – aber mir geht es mit dem Hype um die App ein wenig wie mit dem Lied von Suzanne Vega “My name is luka”: Es hat ewig gedauert, hinter der leicht verliebt klingenden, nettg plätschernden Musik-Oberfläche den Hilferuf eines misshandelten Kindes, einer misshandelten Frau zu entdecken.
Die App misshandelt nicht – aber wir lassen uns anscheinend gerne … hüstel … verblüffen.
“Wir” sind “als Gesellschaft” bereit, mal eben noch mehr Geld für eine App auszugeben, damit wir etwas bekommen, was wir aktuell ziemlich zeitgleich auch als Update zur CWA bekommen.
Bis jetzt ist die “luca”-App nicht nutzbar – einzelne Händler in Selm bieten die Nutzung an – aber das Gesundheitsamt, der Kreis, sie sind noch nicht “online”. Seit Tagen wird angekündigt, dass man “ganz kurz davor, nur eine Unterschrift entfernt ist” – aber bundesweit sind es auch erst 60 (Stand: 21.03.2021) Gesundheitsämter (von 375), die technisch vermutlich in der Lage wären, online zu gehen.
Und auch das Gesundheitsamt im Kreis Unna nutzt nicht die aktuelle SORMAS-Standard-Software der Gesundheitsämter (“wäre aktuell zu kompliziert, die mitten in der Pandemie einzuführen”), sondern müsste sich vermutlich was basteln.
Mal sehen, was die Woche bringt. Angekündigt ist “CWA 2.0”. Bin gespannt…

Geborener Sauerländer, kerngebildet als Theologe, beruflich nun medienarbeitend, erfahren als Bildungswerker und Ressourcenbeschaffer, suchend und fragend, unterwegs seit 1967, zwischen Christentum und Sozialismus nach Gerechtigkeit suchend
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