Selmer Alltagsspuren – Was vom Vatertag übrigbleibt

Selmer Alltagsspuren – Was vom Vatertag übrigbleibt

Während dieser Text entsteht, läuft akustisch im Hintergrund ein nicht so einfach aufgefundener Podcast. Er nennt sich “Großes Mädchen” und hatte in diesem Jahr  Ende April seine Premiere. Sie, die Premiere,  startet mit einem Gespräch, das “es”, das große Mädchen, also: sie (neunzehnjährig) mit ihrem Vater (sechsundfünfzigjährig) führt. Aber zunächst sprechen sie übereinander – so entstehen Skizzen von Vater und Tochter im Kopf, mit ersten und klaren Linien von Verbundenheit und tiefem Respekt.

"Ich steige hinauf zum Vater, zu meinem Vater und zu eurem Vater (Jesus von Nazareth, etwa 33 n.Chr)

40 Tage nach Ostern, 10 Tage vor Pfingsten: Jesus von Nazareth verlässt seine Jünger und kehrt an den Ort jenseits von Zeit und Raum zurück, der sein Ursprung ist. Und kündigt an, dass er trotzdem “immer da” sein wird – als Beistand, als Tröster, als innere Stimme, als Leidenschaft für das neue Leben.

Klingt leicht fromm – aber im Kern… trifft es die Geschichte von einem, der etwas neues ins Leben gebracht hat, das jetzt anders von anderen weiter gelebt werden soll – und sich trotzdem dem Ursprung verbunden weiß.

 

Von "Christi Himmelfahrt" zum "Vatertag"

Auf etwas seltsamen Wegen hat sich aus den Grenzbegehungen und Flurprozessionen, die im frühen Sommer ihren Platz haben, dann in Deutschland im vorletzten Jahrhundert die “Herrenpartie” als eher lockeres Treffen exklusiv für Männer entwickelt.

Ein wenig erinnert das dann bald kommerzialisierte Schicksal der “Herrenpartie” an die Geschichte des “Weihnachtsmann”:

Die Treffen der Männer wurden begeistert von den Bier-Brauereien aufgegriffen – die gerne und vollkommen selbstlos die Selbst-Freude durch den kleinen, großen und übergroßen Rausch aus Krug und Flasche unterstützt haben.

Zwar stieß dann am Anfang des letzten Jahrhunderts die Idee des Dankes an die Väter hinzu – aber es blieb immer eher der Aspekt vorherrschend, dass hier Männer mit Männern einen Tag lang das Leben freudig begießen.

Screenshot der RN zum Festtag 2021

In 2020 war dann erstmals alles pandemiebedingt etwas anders – bis ganz knapp vor dem Feiertag war vieles lahmgelegt.

Insbesondere die Feiern zum 1. Mai waren davon betroffen.

Kurz vor Christi Himmelfahrt begann dann eine Phase kontrollierter Öffnungen. Die erste Welle schien gebrochen – der Sommer konnte eingeschränkt stattfinden. So der Plan.

Vor zwei Jahren skizzierte die Zusammenstellung der RN für NRW ganz gut, was in den letzten beiden Jahren vermisst wurde:

Der Feiertag ist der Beginn eines langen Wochenendes, viele Schulen schließen am Brückentag, viele Betriebe auch.

Die Zeit von Donnerstag bis Sonntag eine Zeit für Kumpel, Freund:innen, Familie – und alle paar Jahre auch für die Kirchentage // Katholikentage.

Screenshot der RN aus 2019

Das Team um den Bollerwagen ist im Lauf der Jahrzehnte vielfältiger, bunter geworden.

So wie auch das Land selbst:

Der Weg weit weg von der männerzentrierten Gesellschaft ist lange nicht am Ende, aber die Wanderwege der kleinen und großen, diversen und bunten Gruppen sind belebt.

Manchmal mit, manchmal ohne Alkohol.

Zusammen leben scheint der Schlüssel zu sein - mit Kopf und Bauch

Unter dem Eindruck der Pandemie und auch durch die Eingrenzungen der Schutzverordnungen sind manche Lebenswelten deutlich kleiner geworden – da gibt es Menschen, die treffen nur noch ihre engere eigene Familie, manche haben mehr oder weniger konsequent über Monate ihr Haus und ihre Stadt nicht verlassen.

Das war für viele natürlich auch eine riesige Belastung – nicht wegen der armen Väter, die nun vielleicht auf engerem Raum mit ihrer Familie leben “mussten”, den Fußballsieg nicht feiern konnten, die Touren mit den besten Kumpeln, die Schützenfeste und Stammtische nicht mehr hatten…

Eine Belastung für die Mütter, die am Ende dann doch die Mehrlast tragen mussten, trotz aller sich entwickelnden Gleichberechtigung in der Verteilung der Care-Arbeit…

Eine Belastung für die Kinder, denen die zweiten und dritten Lebenswelten fehlten, in Schule, Freundeskreis, Sportverein…

Der Nahraum um die eigene Wohnung ist wichtiger geworden – das sehe ich in Selm nicht nur an den sonnigen Tagen im Auenpark, wenn die Familien nutzen, was zur Verfügung steht, auch da gibt es ja Begrenzungen. Ich sehe es auch beim Hundegang auf den Wegen in und um Selm, auf den Fahrradwegen und Fußwegen.

Ein wenig scheint sich da auch etwas zu entwickeln, was aus der “Herrenpartie” am “Vatertag” dann nochmal neu eine Zeit für die Menschen macht, mit denen ich zusammen lebe – den engsten Freundeskreis, die eigene Familie – oder beides.

Reden, Essen, Spielen, Aktivsein – das prägt den Tag, so die Hoffnung.

Die 15-Minuten-Stadt

Die Grafik führt zum Gesamtartikel
Das Zukunftsinstitut hat für sechs Themenbereiche große Trends für die Zeit nach der Corona-Pandemie herausgearbeitet:

Mobilität
Arbeiten
Gesundheit
Konsum
Tourismus
Wohnen

Für das, was nach dem Vatertag übrig bleibt, lohnt sich der Blick auf das Themenfeld “Wohnen”: Der erweiterter Nahraum, das, was in 15 Minuten ohne Hemmnisse erreichbar ist, das wird wichtiger – und zugleich verbindet uns mit dem “Rest der Welt” das Digitale ganz selbstverständlich.

Ent- oder weder ist da “out”, aber beides, der Nahraum und das Digitale, braucht noch einiges an Entwicklung.

Ein Beispiel:

Von Selm nach Bork brauche ich mit dem Rad knapp 15 Minuten, nach Cappenberg wage ich diese Zeit nicht zu erträumen, für den Ternscher See wäre ich optimistisch. Aber wenn es regnet, stürmt, hagelt, schneit – fehlt mir der schnelle und häufige Bus für den Nahverkehr – der ist eher auf die Verbindungen nach Lünen und Lüdinghausen angelegt, ignoriert aber Werne, Waltrop, Olfen…

Geschichten über Generationen
- von Vätern und Töchtern

Inzwischen ist auch die zweite Folge des Podcast beendet – mit dem Gespräch der Mutter (zweiundfünfzigjährig) mit deren Vater (achtundsiebzigjährig).

Bleibt also noch die Offenbarung, dass mich dieser Podcast, den ich am “Vatertag” entdeckt habe, aus zwei Gründen so anrührt:

Mit Vater und Mutter des “großen Mädchen” hab ich im letzten Jahrtausend in Münster zeitgleich und themengleich studiert – inzwischen gibt es nur den losen Faden des Virtuellen, aber immerhin.

Und als die eigene Tochter im letzten Jahr 18 wurde, hatten deren Freudne die Idee, einen Film zu basteln, der uns als Eltern einlud, auf die letzten 18 Jahre mit der Tochter zu schauen und dazu, zu ihr zu sprechen.

Sollte an den “Sollbruchstellen des Lebens” zur Gewohnheit werden. Die passenden Fragen für einen Einstieg bietet der Podcast. Enjoy!

Geborener Sauerländer, kerngebildet als Theologe, beruflich nun medienarbeitend, erfahren als Bildungswerker und Ressourcenbeschaffer, suchend und fragend, unterwegs seit 1967, zwischen Christentum und Sozialismus nach Gerechtigkeit suchend

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